Pester Lloyd-Kalender 1861 (Pest, 1861)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1861. - Geschichte des Jahres

Geschichte des Jahres. 81 Katastrophe gegenüber mußten alle jene Eifersüchte­leien, die seit lange die beste Stütze der Türkei gewe­sen sind, verstummen: — aber auch hier bleibt die äußerste Sorgfalt bemerkenswert^, mit welcher Napo­leon daraus bedacht war, allen Befürchtungen Eng­lands zuvorzukommen; denn vom 25. Juli dakirte je­ner oben erwähnte Brief an Persigny, worin der Kaiser „Nichtintervention in Italien und Erhaltung der Integrität des türkischen Reiches" als die Basen einer gemeinsamen westmachtlichen Politik in den beiden brennenden Fragen verkündete. So ward denn in den letzten Tagen des Juli vou deu fünf Mächten und der Türkei eine Convention des Inhaltes vereinbart: auf Ansuchen der Pforte gehen sogleich 6000 Fran­zosen zur Herstellung der Ruhe nach Syrien ab; die vier anderen Großstaaten dürfen später, wenn es nö- thig erscheint, zusammen eben so viel Truppen dorthin absenden; doch darf die Dauer der Occupation auf keinen Fall die Frist von sechs Monaten überschreiten; auch werden Kommissare sämmtlicher Kontrahenten die Expedition begleiten, um die zu ergreifenden Maßre­geln von Punkt zu Punkt zu regeln. Mit seinem Wunsche, das Jnterventionsrecht auf die Provinzen der europäischen Türkei ausdehnen zu lassen, fiel Ruß­land durch : es ist daher abermals ütne geworden, wie unentbehrlich ihm für die Realisirung der, im Testa­mente Peter's des Großen deponirten Ueberlieserun- gen der Beistand Frankreichs ist; während gleichzeitig die dominirende Position, welche das letztere sich im Oriente zu erringen gewußt, deu Imperialismus in den Stand setzt, dort, je nach dem Verlaufe der poli­tischen Angelegenheiten, sei es dem Czaren, sei es England die unschätzbarsten Dienste zu leisten. Denn am 8. August schon ging in Toulon die Division d'Hautpoul unter Segel: und seit dem 9. September ist sie in Beyrut gelandet. Seitens der Türkei schiffte Fuad Pascha bereits am 3. August 8000 Mann zu­verlässiger türkischer Soldaten in Syrien aus und zog ohne Aufenthalt in Damaskus ein, wo er furcht­bar blutige, aber gerechte Vergeltung geübt hatte, ehe noch Ein Franzose den Fuß an's Land gesetzt hatte. In wenigen Wochen waren von 4000 Verhaf­teten 112 gehenkt; 127, darunter drei Pascha's, von denen Einer sogar die Würde eines Muschirs oder Feldmarschalls bekleidete, erschossen; 600 auf die Galeeren geschickt. Die gesammte türkische und jüdische Bevölkerung von Damaskus verurtheilte Fuad Pascha zum Aufbau von 2000 Christenhäusern, so wie zur Zahlung eines Schadenersatzes von 29 Mill. Piaster an die Verfolgten. Auch einen Streifzug nach dem Gebiete der Drusen hatte er sogleich unternommen und durch die Drohung, es mit Feuer und Schwert zu verheeren, die Auslieferung von 20 Shit's er­zwungen , die als Rädelsführer bezeichnet wurden. Noch ging — neben der zartesten Rücksicht auf England, neben dem fortwährenden Coquettiren mit Rußland — ein dr itter Zug wie ein leitender rothe Faden durch die imperialistische Politik: wir meinen das unverkennbare Streben, die romanischen Stämme ihrer Lethargie zu entreißen und so weit zu kräftigen und zu einen, daß Frankreich im Nothfalle dem Bunde der germanischen eine Allianz der romanischen Völker entgegensetzen kann. Fast eben so offenkundig, wie in Bezug auf Italien, trat dies Trachten des Kaisers in Betreff Spaniens hervor. Das Madrider Kabinet befand sich seit dem Spätherbste in einer unange­nehmen Verlegenheit. Die unablässigen Seeräube­reien der Niffpiraten, dieser halbwilden Unterthanen oder Lehensleute des Kaisers von Marocco, so wie ihre wiederholten Angriffe auf die afrikanischen Kolonien Spaniens hatten am 22. October zu einer Kriegser­klärung der Königin Jsabella an Sidi-Mohamed ge­führt. Ein Expeditionsheer, dessen Stärke allmälig aus 50,000 Manu, worunter 2000 Reiter, mit 150 Geschützen gebracht worden und dessen fünf Corps von den Generalen Echague, Ros de Olano, Rios Rosas, Zabala und Prim befehligt wurden, war in den Hä­sen von Sevilla und Algesiras unter dem Oberkom­mando O'Dvuuell's concentrirt worden: allein Eng­land, das stets für Gibraltar zittert, sobald eine euro­päische Macht die Hand nach dem gegenüberliegenden Tanger auszustrecken scheint, erhob die größten Schwie­rigkeiten. Nur der Vermittlung Napoleon's ge­lang es, dieses Hinderniß aus dem Wege zu räumen : Lord Russell gab nach, nachdem die Madrider Regie­rung zugesagt, keine dauernden Eroberungen in Afrika machen zu wollen. Ende November begann der Kampf mit Scharmützeln um die Mauern von Ceuta : vom 22. bis 30. fanden beim Serallo, einem alten Kastelle, an dessen Umgebung die Spanier ihr Lager aufgeschlagen, so heiße Treffen zwischen den Maroc- canern und dem Corps Echague's statt, daß die Spa­nier, wenn sie gleich immer Sieger blieben, doch an Einem Tage einmal 80 Todte und 400 Verwundete hatten, zu welchen letzteren ihr General selber zählte. Am 8. December nahm, während in Marocco die Fahne des Propheten entfaltet, und der heilige Krieg proklamirt ward, die Vorrückung gegen Tetuan auf Straßen, die erst gebahnt werden mußten, und unter täglichen blutigen Gefechten ihren Anfang, wobei Prim die Vorhut bildete. Sein und Zabalas Corps stürmten am Neujahrstage die Höhen von Castille- jos; am 7. brachte ein neues Treffen die Spanier bis vor die Mauern von Tetuan; am 17. landete in der Mündung des Tetuanflusses die Division Rios Rosas, nachdem sie die Forts von Tetuan zusammen- geschosseu: und am 4. Feber endlich kam es unter den Mauern von Tetuan zu einer Hauptschlacht, die den Spaniern allein über 800 Mann kostete und das ganze Lager des Feindes in ihre Hände gab. Vor ihrem Abzüge plünderten die schwarzen Leibgarden des Kaisers Tetuan, so daß die Spanier bei ih­rem Einzuge in die Stadt als Befreier begrüßt rwurden: doch hatten die angeknüpften Unterhandlun­f

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