Pester Lloyd-Kalender 1861 (Pest, 1861)
Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1861. - Geschichte des Jahres
82 Geschichte des Jahres. gen noch keinen Erfolg. O'Donnell brach nunmehr von Tetuan gegen Tanger auf: erst als er am 23. Marz bei den Höhen von Fundak einen zweiten großen und schwererkauften, einen Moment sogar zweifelhaften Sieg errungen, nachdem Wer 2000 Todte das Kampffeld bedeckten, gelangte der Frieden zum raschen Abschlüsse. Schon am 25. kam der Chescom- mandant der Spanier mit dem marokkanischen Oberfeldherrn und Bruder des Kaisers Mnley Abbos zusammen, und nach kurzem Zwiegespräche einigten sich Beide über folgende Bedingungen: die Spanier erhalten 400 Mill. Realen Kriegsentschädigung und lassen bis zur vollständigen Abzahlung des Geldes eine Besatzung in Tetuan; ihre Besitzungen um Me- lilla und Ceuta werden durch Abtretung kleiner Landstreifen abgerundet; zugleich wird ihnen die Besugniß zugestanden, die Riffpiraten, wenn der Kaiser sie nicht im Zaume zu halten vermag, nöthigenfalls selber zu züchtigen, ohne daß deshalb der Friede zwischen beiden Staaten als gebrochen betrachtet werden dürfe; endlich ward den spanischen Missionaren in Marocco Schutz zugesagt und ein'Repräsentant Spaniens in Fez zugelassen, wahrend bisher die Vertreter aller europäischen Staaten sich damit hatten begnügen müssen, in Tanger zu residiren und dort mit dem Minister des Auswärtigen, der gleichfalls in diesem Hafenplatze seinen Wohnsitz hatte, zu konferiren. Am 26. April war der Friedensvertrag unterzeichnet und ratificirt: aber ehe noch ein Regiment aus Afrika heimgekehrt war, hatten die Legitimisten den Kriegszustand ihres Vaterlandes benutzen wollen, um den Thron Jsabella's zu stürzen. Zu diesem Behufe war der Gouverneur der Balearen, General Ortega, von ihnen gewonnen worden; Graf von Montemolin, der karlistische Kronprätendant selber, und dessen dritter Bruder Don Fernando hatten sich zu ihm begeben : und am 2. April landeten sie an der Spitze von 3000 Mann spanischer Truppen, die unter Or- tega'ö Befehlen standen und von dessen Vorrathe keine Ahnung hatten, bei Tortosa an der Mündung des Ebro. Kaum aber rief der General „Carl VI." zum Könige aus, als die Soldaten ihn wie Ein Mann im Stiche ließen: nur die Verwirrung des Augenblickes und die Schnelligkeit ihrer Pferde rettete Ortega und die Prinzen vor sofortiger Arretirung. Des Generals jedoch wurden die Behörden binnen weniger Tage habhaft und gleich nachdem er in Tortosa um die Mitte des April kriegsrechtlich erschossen war, wurden auch Montemolin und sein Bruder in dieser Stadt eingebracht. Es kostete wenig Mühe, sie dazu zu bewegen, daß sie, um wieder in den Besitz ihrer Freiheit zu gelangen, ein Dokument Unterzeichneten, in welchem sie Jsabella II. als Königin von Spanien anerkannten und aus ihre vermeintlichen Erbrechte verzichteten. Sobald sie jedoch Anfangs Mai aus ihrer Haft entlassen und über die Grenzen gebracht waren; sobald eine allgemeine Amnestie den schmutzigen Handel zugedeckt hatte: protestirte der zweitalteste Sohn des Don Carlos, der in London zurückgebliebene Don Juan, gegen die Entsagungsnrkunde seiner Brüder; nnd in den ersten Tagen des Juli widerriefen auch diese beiden Herren selber den Schritt, den Todesangst und Gefangenschaft ihnen abgepreßt hatten. Mit Recht erklärte das Kabinet von Madrid dem Auslande in einer Note, daß Spanien auf den Protest eben so wenig Gewicht lege, wie ans die Verzichtleistung. Man darf behaupten, daß Ortega's mißglückter Putsch den Thron Italiens in demselben Maße fester gegründet, wie der Krieg mit Marocco das Prestige ! Spaniens gehoben hat. Es fehlte daher Napoleon durchaus nicht an haltbaren Gründen, als er Ende Juli seinen Minister Thouvenel beauftragte, die Aufnahme Spaniens in das Concert der Großmächte zu begehren : nnd hat auch dieser Schritt bis jetzt noch keine weitere praktischen Folgen gehabt, so durfte er doch hier als Fingerzeig für die Zukunftspläne des Imperialismus wohl mit Stillschweigen übergangen werden. Wehen nicht überdies in C o chi n chi n a noch seit dem Herbste 1858 die französische und die spanische Fahne zum Schutze der katholischen Kirche nebeneinander ? muß nicht schon diese Waffengemeinschaft beider Länder einander näher bringen, seit ihre Söhne am 15. September 1859 gemeinsam einen siegreichen Angriff auf die stark verschanzte Armee der Anamiten ausgeführt haben? Und wie in Betreff !, Spaniens, so steht endlich auch bezüglich Englands die Politik des Imperialismus in Hinterasten durchaus im Einklänge mit derjenigen, die er in den eu ropäischen nnd orientalischen Angelegenheiten befolgt. Gegen China, dessen Regierung, trotz des ununterbrochenen Vordringens der Taipingrebellen, am 8. März das Ultimatum der Weftmächte ablehnte, steht ein vereintes westmächtliches Geschwader von mehr als 2000 Kanonen, das 25,000 Briten unter Sir Hope Grant und 9000 Franzosen unter General Montaubau an Bord hat, im Felde. Dasselbe hat am 24. April die Feindseligkeiten mit der Besetzung der, an dem Ausflusse des Aantsekiang gelegenen Insel Tschu- ■ san begonnen nnd am 8. Juni die Insel Tschefun okkupirt; seitdem hat es im Golfe von Petscheli Anker geworfen; und kann man dem Einlaufen der Nachricht von der Erstürmung der verhängnißvollen Takuforts an der Mündung des Peiho mit jeder Ue- berlandspost entgegensehen. Für den Moment scheint es daher noch nicht, alo ob Napoleon, ungeachtet der bevorstehenden Fürstenzusammenkunft in Warschau, sich in der Unmöglichkeit bestuden wird, sei es den Abschluß einer Koalition zu verhindern, sei es ihr, wenn sie I zu Stande kommt, andere Allianzen entgegenzustellen.