Pester Lloyd-Kalender 1861 (Pest, 1861)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1861. - Geschichte des Jahres

Geschichte des Jahres-. 63 wünschte, oder die revolutionären Regierungen zulas­sen werde: hatte Napoleon bereits sein Programm für den Congreß veröffentlicht, das, wie wenig eS auch den Anforderungen Sardinien's entsprach, doch unzweifelhaft schon weit über die Stipulationen von Zürich und selbst von Villafranca hinauögriff. Der i Kaiser, so sagte er in dem B r i e f e, den er un­ter dem Datum des 9. November an V i c t o r E m a- . nuel richtetete, werde auf der bevorstehenden Ver­sammlung nachfolgende Bedingungen befürworten: Parma und Piaccnza fallen der strategischen Ab­rundung wegen an Piemont; die parmesanische Dy­nastie erhält Modena, dessen Herzog zu Gunsten seines einzigen Kindes, einer Tochter, die mit dem Herzoge von Parma verlobt wird, verzichtet; der Großherzog von Toscana erhält sein Land, viel­leicht mit einer Gebietserweiterung, zurück; keine bewaffnete Intervention darf in Italien stattstnden; Venetien bekommt ein abgesondertes Heer, eine eigene Verwaltung und Volksvertretung ; Mantua und Pes- chiera werden Bundesfestungen; alle Einzelstaaten werden, mit repräsentativen Körperschaften auöge- stattet, und von diesen Kammern wird für die Een- tralleitung der Conföderation eine Liste von Kan­didaten entworfen, aus deren Mitte die Fürsten die betreffenden Ernennungen vorzunehmen haben. Im­merhin mochte es ungewiß sein, ob Oesterreich auch nur darauf eingehen werde. Demungeachtet läßt sich nicht verkennen, wie Frankreich sich im Verlaufe des ganzen Herbstes durch den Züricher Vertrag doch allzusehr gebunden erachtete, als daß Victor Emmanuel nicht seine Hauptstütze in England hätte suchen müssen. Der Satz, den Lord Russell bei jeder Gelegenheit wiederholte: „es darf den Völkern Ita­liens kein Zwang angethan werden" — bildete das Palladium des Grafen Cavour, um so mehr als Frankreich in der Verfechtung dieses Prinzipes nicht hinter England Zurückbleiben durfte, wollte cs nicht Gefahr laufen, sich den ganzen Ein­fluß in Italien, den es sich mit solchen Opfern er­rungen, durch Großbritannien entreißen; oder gar, im Falle es zu einer wirklichen Einmischung des Auslandes kam, Oesterreich sein früheres Ueberge- wicht auf der Halbinsel wiederherstellen zu sehen. Aus dieser Combination entnahm denn der Gar­de n k ö n t g den Muth, dem Kaiser zu a n t- w orten; er könne wegen der Verpflichtungen, die ’ ihm gegen Italien oblägen, die Stipulationen von Villafranca und Zürich nur in so weit gut heißen, wie sie ihn selber angingen; die Ausführung des Conföderationsprojektes sei ohne radikale Verände­rungen, auf welche weder Oesterreich, noch Neapel, noch die Curie sich einlassen würden, unthunlich; Piemont könne eben nur versprechen, in Mittelita­lien nicht zu interveniren, so lange alle ande­ren Mächte sich ebenso passiv verhielten. Inzwischen hatte die italienische Annexionsbewegung einen mäch­tigen Ruck vorwärts bekommen. Die Constituante von Bologna hatte den Gouverneur Cipriani sei­nes prononcirten Bonapartismuö wegen zur Ab­dankung genöthigt, darauf das sardinische Statut proklamirt und die Romagna Farini unterstellt, der nun als Dictator der Emilia in seiner Person die Herrschaft über Parma, Modena und die Legatio­nen vereinte. Unmittelbar darauf am 7. November erwählten die Gesetzgebenden Versammlungen von Florenz, Bologna, Parma und Modena den Prin­zen von Savoyen- Carignan, den Vetter Victor Emmanuel's, zum Regenten Mittel- i t a l i e n'S. Freilich mußte Piemont, auf Frank­reich'!? Jnstigation, dem Prinzen die Annahme des Mandates verbieten. Als er indeß den Comman- dcur und Ritter von B u o n c o m p a g n i zum Proregenten bestellte, fügte der Kaiser sich, und der „Moniteur" vom 23. November mußte erklä­ren, Frankreich sei mit dieser Maßnahme einver­standen, da es sich überzeugt, daß der Proregent nur die Ordnung aufrecht erhalten, nicht aber der Entscheidung des Congresses vorgreifen solle. Freundschaftliche Verhandlungen überwanden denn auch bald den anfänglichen Widerstand Rica- soli's, der dem Prinzen von Carignan das Recht, sich durch Buoncompagni vertreten zu lassen, bestritt und in Toscana eben so bestimmt gegen eine Re­stauration, wie gegen ein Königreich Ertrurien un­ter dem Prinzen Napoleon und gegen das Aufge­hen in Piemont arbeitete, da er die Autonomie des Großherzogthums unter einem selbstgewählten Für­sten gewahrt wissen wollte. Buoncompagni mit dem Titel eines Generalgouverneur's — so lautete die definitive Verständigung — sollte die diplomatische und militärische Leitung der mittelitalienischen Liga übernehmen; alles rein Administrative Ricasoli und Farini als Gouverneuren Toscana's und der Emilia ! verbleiben, welch' letztere ihr Statthalter schon am ; 8. Dezember als Einen staatlichen Gesammtkörpcr mit der pjemontesischen Verfassung und dem Sitze des Ministeriums in Modena, proklamirt hatte. Nachdem so Alles zur Zufriedenheit der Betheilig­ten geordnet war, hielt Buoncompagni am 22. De­zember seinen feierlichen Einzug in Florenz. Ein Opfer hatte jedoch auch Piemont bringen müssen, die Entlassung Garibaldi's, der unter Fant: ein Corps der mittelitalienischen Armee an der Südgrenze der Romagna konnnandirte und der Napoleon ganz der Mann zu sein schien, die küh­len Berechnungen der französischen Politik durch irgend einen kecken Schachzug urplötzlich über den Haufen zu werfen. Der Chefgeneral der Liga, Fanti, theils aus Eifersucht auf Garibaldi's militärischen Rhum, theils weil es ihm weniger um die italie­nische Sache zu thun war, als um das Haus Sa­voyen und die Vergrößerung Piemont's, gab sich mit der entgegenkommendsten Bereitwilligkeit zu dem

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