Pester Lloyd-Kalender 1861 (Pest, 1861)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1861. - Necrologie

Necrologie. 21 Familie und seine intimen Freunde zugänglicher; sie fanden ihn furchtbar gealtert! Aus dem dichten, beinahe weißen Barte traten die Wangen bleich und tief durchfurcht hervor; nur die unter den buschigen Brauen hervorleuchtenden Augen strahlten wenigstens in einzelnen Momenten ein Feuer ans, welches an frühere Zeiten erinnerte. Von dem Ein­tritte in die Irrenanstalt bis zu seinem Tode kam er nicht mehr über die Schwelle seiner dortigen, aus fünf Appartements bestehenden Wohnung ; jeden Morgen ließ er die Fenster öffnen und machte dann einen Spaziergang (wie er berechnet hatte, von einer halben deutschen Meile), indem er durch seine Zim- merenfilade auf- und abschritt, und um die Zahl seiner Märsche nicht zu verfehlen, jedesmal ein Kü­gelchen in eine Urne warf, so oft er wieder an dem Ausgangspunkte anlangte. An kleinen Spielereien fand er unendliches Vergnügen; die Einrichtung seiner Wohnung vom Größten bis zum Kleinsten, vom Tische und Schranke bis hinab zu den Quin- caillerien seines Schreibtisches und seiner Toilette, war sinnreich und praktisch, und der Mann, der für das große Leben verloren war, suchte seinen Scharf­sinn wenigstens an Kleinigkeiten zu üben. Er klei­dete sich einfach, aber elegant; ein schlichter Rock nach ungarischem Schnitte war seine gewöhnliche Tracht, welche nur bei besonderen Gelegenheiten dem dunkelblauen oder violetten Sammtattila mit Edel­steinknöpfen wich. An solchen Tagen hatte seine ganze äußere Erscheinung etwas besonders Reizen­des, Ehrwürdiges, Imposantes. Obwohl Jeder seiner Landsleute, der nach Wien kam, es für seine Pflicht hielt, den großen Mann in seiner Einsam­keit aufzusuchen, stand er doch nur mit Wenigen in innigem Verkehr. Aber tu diesem engeren Kreise war seine Konversation noch jetzt sehr geistreich, lie­benswürdig, bezaubernd. Er verweilte gerne bei der Vergangenheit und wußte aus seiner Erinne­rung immer neuen und interessanten Stoff für eine geistvolle Unterhaltung hervorzuheben. Auch mit den Tagessragen beschäftigte er sich lebhaft; er las un­endlich viel und brachte, wenn er allein war und sich nicht mit seiner Flöte unterhielt, die er gerne und hübsch spielte, auch seine eigenen Ideen zu Pa­pier. In der Nacht aus den ersten Osterfeiertag, am 8. April 1860, machte er seinem Leben durch einen Pistolenschuß ein Ende. Ueber die, der Kata­strophe zu Grunde liegenden Motive und die ihr unmittelbar vorhergegangenen Ereignisse, sprach Dr. Goergen, Inhaber der Döblinger Heilanstalt, sich folgendermaßen aus: „Ich wiederhole meine schon zu wiederholten Malen auch amtlich abgegebene Er­klärung auf das Bestimmteste: Graf Széchényi wat- wirklich vom Momente seiner Ankunft in meinem Hause bis zum Augenblicke seines Todes geisteskrank; er war trotz aller Liebenswürdigkeit im Umgänge und seines glänzenden Conversationstalentes in ho­hem Grade irrsinnig und unzurechnungsfähig. Sein Leiden bestand in einer unheilbaren Selbstmord­manie, welche ihn während seines zwölfjährigen Aufenthaltes in meiner Anstalt nie verließ und ne­ben den heitersten Scherzen und mitten im harm­losesten fröhlichsten Gespräch immer znm Durchbruche kam. Am 3. März 1860 wurde für nvthig be­funden, in seinen Zimmern eine polizeiliche Durch­suchung vorzunehmen; daraus folgte der Tod seines alten Freundes Baron Jósika, der Tod der Gräfin Mesko, die Verurtheilung des ihm nahe stehenden Hosrathes v. Zsedónyi — eine Reihe von Schlägen, die ihn tief beugten und dem Grundgedanken seiner Krankheit neue Macht über ihn verliehen. Sein Gemüth ward tief erschüttert, und die seit zwölf Jahren unausgesetzt ausgesprochenen Selbstmordideen gewannen eine konkretere Form." Die Be i s e tz u n g der Leiche in der Familiengruft zu Großzinkendorf fand am 11.April Nachmittages statt. Dem „großtenUn- gar"gaben etwa 50VertreterdeshohenAdels, darunter 12 Szechenyi's, Mitglieder der Familien Zichy, Feß- tettes, Károlyi, Mikes, Bohus, Kemóny, Lopresti und anderer Magnatengeschlechter, die Deputationen der Akademie (welche letztere, gleich zahlreichen Vereinen, ja gleich vielen Gemeinden, um den Dahingeschiedenen eine Einmonatliche Trauer anzulegen, beschlossen) un­ter der Führung des Grafen EmilDessewssy, die Her­ren Dóak, Hunfalvi, Toldi, mehrere Repräsentanten der Literatur und etwa 2000 Personen aus Oeden- burg ttnd der Umgebung das Geleite. .Ein Trauer- zug, wie er des großen Todten würdig gewesen wäre, ward durch Zwischenfälle vereitelt, deren Beseitigung nicht in der Macht der Leidtragenden lag. Ein finste­rer Himmel sah auf die Schaar herab, die in düsterer Haltung den Trauersarg umgab, durch die blätterlosen Zweige der Baume blies der Sturm und löschte das Licht der hundert Fackel aus, deren Träger an bei­den Seiten der Todtenbahre einherschritten. Durch die finster zusammengeballten Wolken jedoch drang von Zeit zu Zeit ein halber Sonnenblick. Die wei­nenden Hinterbliebenen des edlen Verstorbenen trugen den Sarg die Stufen hinab, — unterdessen wurden die Fackeln, welche der scharfe Zug der Luft ausgebla­sen hatte, wieder angezündet und in einen Bund zu­sammengelegt , der bald mächtig aufloderte. Beim Scheine dieser Flamme ward ein patriotisches Lied an- gestimmt, und die Gruft ward geschloffen, welche nun dem größten geistigen Kämpfer der Nation ein fried­liches, von den Stürmen des Lebens nicht heimgesuch- tes Asyl gewährt. Thiersch, Friedrich Wilhelm, Geheimerath und Professor der alten Literatur zu München, starb daselbst am 25. Februar. Er war am 17. Juni 1784 bei Frerburg an der Unstrut geboren worden und wurde schon 1809 nach München berufen. Wie er sich 1813 bei dem Befreiungskämpfe mannigfach thätig zeigte, so bewies er sich später als der wärmste Theilnehmer

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