Pester Lloyd-Kalender 1860 (Pest, 1860)
Pester Lloyd-Kalender für das Schalt-Jahr 1860 - Geschichte des Jahres
Geschichte des Jahres. 113 Allianz der Preis gewesen fei, den Frankreich für die Heirath gezahlt habe. Gleichzeitig sing der unruhige Geist der Lombarden wieder an sich zu regen: in Mailand standen die Cigarrendemonstrationen in schönster Blüthe; in Padua kam es bei dem Begräbnisse eines Professors am 11. zu einem ernsten Krawalle. Sofort begannen auf österreichischer wie auf sardinischer Seite Truppenbewegungen: am 10. rückte die Brigade Rauirning in Mailand ein — und obschon die „Oester. Korresp." erklärte „es geschehe das nicht aus Anlaß internationaler Verwicklungen, sondern ausschließlich zum Schutze der Gutgesinnten"; antwortete das Türmer Kabinet darauf doch augenblicklich mit Borschiebung seiner Truppen nach dem Ticino hin. Die Besatzungen Savoyens und der Insel Sardinien wurden nach der Grenze dirigirt, die Klöster in Kasernen verwandelt, die Befestigungsarbeiten in Alessandria und Casale mit rastlosem Eifer betrieben und, um vorläufige Barfonds herbeizuschaffen, die Eisenbahnen des Landes an das Haus Rothschild verkauft. Sodann beantragte Graf Cavour bei der Kammer die Genehmigung znr Contrahirung einer Nationalanleihe von 50 Millionen Lire. „Die außerordentlichen Rüstungen Oesterreich's, die Trup- penzusammenziehungen in der Lombardei, die Besetzung des linken Ticinoufers" mußten dem Minister als Vorwand dienen für die angebliche ,,Befürchtung, He Wiener Regierung beabsichtige einen Angriff auf Sardinien's Verfassung und Besitzstand." Die heißen Debatten dauerten vom 4. bis 9. Feber. Endlich genehmigten 116 Deputirte das Anlehensprojekt; 35 andere reichten einen heftigen Protest des Inhaltes ein: Cavour habe es ans einen Offensivkrieg abgesehen ; deshalb hätten sie ihm die Mittel, die Zukunft der Monarchie bloszustellen, verweigert. Von Tage zu Tage mehrten sich die Anzeichen dafür, daß das Turiner Kabinet unmittelbar an die Reminiscenzen von 1848 anknüpfen wolle und daß Napoleon damit einverstanden sei. Der Kriegsminister Lamarmora empfing Garibaldi, der bald darauf mit den Werbungen auf der Insel Sardinien beauftragt ward. Etwas später gewährte ihm auch der König eine Audienz und ernannte ihn zum piemontesischen General; in dieser Eigenschaft begann er nunmehr, eine Legion zu organisiren, in welcher die Deserteure und Freiwilligen aus Lombardovenetien und den Herzogthü- mern, nachher auch aus den Legationen und selbst aus Neapel, ja aus Sicilien bereitwillige Aufnahme fanden. Andrerseits empfing Prinz Napoleon kurz nach seinem Einzuge in Paris, wo er am 3. Feber mit seiner jungen Frau anlangte, eine Deputation italienischer Flüchtlinge, die ihm zu seiner Verhei- rathung gratulirten und an deren Spitze der, sogar der Theilnahme an der Ermordung des Grafen Rossi verdächtige Sterbini stand, um ihr ganz ausdrücklich tm Namen seines kaiserlichen Vetters Hé bestimmtesten Zusagen über französische Hilfe zur „Befreiung" ihres Vaterlandes zu machen. Die Eröffnung des Corps-Legislattf zwang endlich Napoleon selber, von seinen Plänen den Schleier des Geheimnisses in etwas zu lüften: seine Thronrede vom 7. Feber lautete für die gespannten Verhältnisse friedlich genug. „Das Wiener Kabinet und ich — hieß es darin — wir haben uns oftmals in Zwiespalt über prinzipielle Fragen befunden, und es hat eines großen Geistes der Mäßigung bedurft, um zur Lösung zu gelangen. Das Interesse Frankreichs ist überall vorhanden, wo eine gerechte, der Civilisation förderliche Sache zur Geltung zu bringen ist. Bei diesem Stande der Dinge war es nichts Außerordentliches, daß Frankreich sich Piemont näherte: die Verbindung, welche Prinz Napoleon eingegangen, ist daher keine Thatsache, zu der man einen verborgenen Grund suchen müßte; sondern die natürliche Folge der Gemeinsamkeit der Interessen beider Länder und der Freundschaft ihrer Souveraine. Der Zustand Italiens flößt gerechte Besorgnisse ein, ist jedoch noch kein ausreichender Grund um an Krieg zu glauben. Die Politik Frankreichs wird fest, aber versöhnlich sein. Eine Koalition habe ich nicht zu fürchten: um so mehr werden wir unerschütterlich auf dem Wege des Rechtes und der nationalen Ehre verharren, uns weder Hinreißen noch einschüchtern lassen." Fiel es indeß schon aus, daß Napoleon mit keiner Silbe der „Vertrage" gedachte : so mußten alle seine beruhigenden Versicherungen vollends als leerer Wind erscheinen, als unmittelbar darauf die, so gut wie unter seinem Diktate entstandene Brochure Laguerronniere's „Napoleon III. et l’Italie“ den status quo in Italien gerade heraus für unhaltbar; die Separattraktate Oesterreich's mit den Herzogthümern, weil deren Beherrscher nicht das Recht hätten, sich ihrer Souverainetat zu Gunsten des Kaiserreiches zu entäußern, für verwerflich ; die nationale Bewegung für berechtigt; und ihre Befriedigung durch Gründung einer italienischen Conföderation unter dem Präsidium des Papstes für das einzige Mittel erklärte, der revolutionären Elemente Herr zu werden. Von diesem Momente an konnte Europa nicht mehr in Zweifel sein, daß alle schmeichlerischen Betheuerungen Rapoleon'ö keinen andern Zweck hatten, als den: Zeit zur Vollendung seiner eigenen Rüstungen zu gewinnen und Oesterreich von einem Einfalle in Piemont abzuhalten, ehe er selber in der Verfassung war, seinem Bundesgenossen beizuspringen. Daneben galt es, die friedliche Stimmung im eigenen Lande möglichst lange im Unklaren zu lassen über die Dinge die da kommen sollten; die vermittelnden Mächte, England und Preußen, in Sicherheit zu wiegen, oder vielmehr ihnen einen Vorwand für die Zurückweisung jederAuffor- derung zu einem energischen Eingreifen an die Hand zu geben; Oesterreich aber in die unangenehme Lage zu bringen, daß es sich entweder Gewehr bei Fuß durch das Abwarten finanziell erschöpfen, oder durch