Pester Lloyd-Kalender 1860 (Pest, 1860)

Pester Lloyd-Kalender für das Schalt-Jahr 1860 - Nekrologie

Nekrologie. 21 sagen wir, diese unzweifelhaften Thatsachen, als der bekannte aber apokryphe Trinkspruch, den die Mythe ihm in den Mund legte „kein Oesterreich, kein Preu­ßen mehr, nur ein einiges freies Deutschland!"— be­wirkten, daß er am 29. Juni von dem Frankfurter Par­lamente zum Reichsverweser, erwählt ward. Schon 13 Tage vorher hatte Kaiser Ferdinand den Erzherzog zu seinem Stellvertreter in Wien ernannt und ihm die Eröffnung des dortigen Reichstages übertragen, die am 22. Juli vor sich ging. Dann aber begab Erzherzog Johann sich nach Frankfurt, wo er sich hinfort ausschließlich den Sorgen der Reichsverweserschaft widmete. Der Gang der Verfas­sungsberathungen stimmte indeß keineswegs mit sei­nen Wünschen und Ansichten überein, so daß er, je näher das Ende rückte, immer bestimmter als Reprä­sentant der österreichischen Interessen auftreten mußte. Als am 28. März 1849 das Parlament Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zum deutschen Kaiser wählte : kostete es der großdeutschen Partei sogar Mühe, ihn zu bewegen, daß er von seinem anfängli­chen Beschlüsse abzudanken abstehe. Dann aber, nach der Ablehnung der Kaiserkrone in Berlin und nach der Sprengung des Rumpfparlamentes, setzte er den Zumuthungen Preußens, die Reichsverwescrschast zu dessen Gunsten niederzulegen, beharrliche Opposition entgegen. Er blieb als Hüter des österreichischen Interesses in Frankfurt, bis der interimistische Bun­destag restaurirt war, in dessen Hände er am 20. Dezember 1849 seine Vollmachten niederlegte. Schon im folgenden Jänner verließ er diese letzte po­litische Schaubühne seines vielbewegten Lebens und kehrte nach Gratz zurück, wo er bis an sein Ende durch keine weiteren Stürme gestört ward, als etwa durch die Sorgen, mir welchen das in Italien los­brechende Ungewitter seine letzten Tage umdüstert haben mag. Nicht nur in Gratz selbst, sondern auch in den Bergen Steiermarks und des Salzkrmmer- gutes wird der Name des hohen Verblichenen noch auf lange Zeit hinaus im Munde des Volkes fortle­ben ." denn wie wenig Andere erfreute er sich jener Popularität, welche die Masse nicht immer der Be- rümtheit, sondern viel mehr jenen sympathischen Na­turen zuerkennt, von denen Terenz' Wort gilt : „ich bin ein Mensch und keine menschliche Regung ist mir fremd." Noch Generationen hindurch werden die Schiffer von Aussee, die den Fremden über den Grundelsee rudern, nie verabsäumen, ihm den Baum zu zeigen, unter welchem Erzherzog Johann, der Lo­kalsage zufolge, zum ersten Male jene Dame erblickt haben soll, mit der er sich 1827 morganatisch ver­mahlte und die ihm zwölf Jahre später, zur Gräfin von Meran und Freiin von Brandhof erhoben, sei­nen einzigen hinterbleibenden Sohn, Franz Grafen von Meran, geboren hat. Ihre kais. Hoheit die Durlauchtigste Frau Erb­groß h e r z o g i n von Toskana Anna Maria, welche aus Anlaß der Vermählung des Herzogs von Kalabrien in Neapel verweilte, starb daselbst am 10. Feber. Die Frau Erzherzogin war die Gemahlin des Herrn Erzherzogs Ferdinand und die Tochter Sr. Maj. des Königs Johann v. Sach­sen. Die hohe Frau war am 4. Jänner 1836 ge­boren und hatte sich am 24. November 1856 ver­mählt. Der Tod raffte sie dahin in Folge eines plötz­lich eingetretcnm typhösen Fiebers, dessen Ausbruch der damaligen, ungewöhnlich kühlen Witterung in Italien zugeschrieben ward. Ihre kaiserliche Hoheit die Durchlauchtigste Frau Erzherzogin Maria Anna, verstarb am 28. De­cember 1858 nach kurzer Krankheit zu Baden bei Wien, an den Masern. Ihre kais. Hoheit war am 8. Juni 1804 geboren und eine Tante Sr. Maje­stät des Kaisers von väterlicher Seite. Ferdinand II., König beider Sizilien, starb am 23. Mai in Neapel. Joachim I. Murát herrschte auf dem Festlande des Königreiches, als Ferdinand am 12. Jänner 4810 in Sicilien das Licht der Welt erblickte; und in seinem 21. Jahre succedirte er am 8. November 1830 seinem Vater Franz I. Bei guten Anlagen hatte er von dem Charakter seiner Großel­tern die Energie der Königin Karoline und die Derbheit des Großvaters Ferdinands I. geerbt, die ihn gleich diesem zu dem Abgotte der niederen Vvlksklassen stempelte und ihm namentlich in den Lazzaronis der Hauptstadt eine stets schlagfertige Hilfs­truppe verschaffte. Er begann seine Herrschaft aller­dings mit Reformen in dem Finanzwesen : aber er gestattete auch von vornherein nicht den leisesten Zweifel darüber, daß diese Reformen keine Verände­rung des absolutistischen Systemes, sondern lediglich eine Modificalion in der Anwendung desselben be­zweckten. Die Verschleuderung und Schlaffheit, die am Hofe seines Großvaters und Vaters obgewaltet, dienten ihm dabei als Sporn, weil sie die Fülle und die Mittel der königlichen Macht beschränkt und so nach dem Ausstande von 1820 die österreichische Occupa­tio» nothwendig gemacht hatten. Von dem ersten Momente seiner Regierung bis zu seinem letzten Athemzuge war Ferdinand's einziges Streben darauf gerichtet, ein sich selbst genügendes, von fremden Mächten wie vom eigenen Volke gleich unabhängiges Scepter zu führen. Die Bewegung von 1848 zwang ihn zwar, erst Sicilien, dann auch Neapel eine Ver­fassung zu verleihen und sich sogar einen Augenblick an dem Kriege in Oberitalien gegen Oesterreich zu betheiligen: allein schon im April 1848 warf er den Constitutionalismus auf dem Festlande, im Mai 1849 auch auf der Insel mit blutiger Strenge nieder. Seine Parteinahme für Rußland während des Krimmkrieges stürzte ihn aufs neue in unangenehme Verwicklungen mit den Westmächten, die im Oktober 1856 ihre Ge-

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