Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)
Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres
Geschichte des Jahre». 163 aufforderten, hätten die Erneuten in eine Rebellion verwandeln können: und dann war Frankreichs unzweifelhafte Mission, für Ruhe und Ordnung an seinen Grenzen zu sorgen. Die Weisheit Leopold's I. zog es daher, zum großen Aerger der bonapartisti- schen Scribenten, die sich harte Worte über seine Schwäche erlaubten, vor, durch Ausübung seiner königlichen Prärogative die Uebereinstimmung zwischen der Nation und ihrer Vertretung wiederherzustellen. Er machte den weiteren Berathuugen des verhaßten Gesetzes ein Ende, indem er am 13. Juni 1857 die legislative Session schloß, am 9. November ein freisinniges Ministerium, unter der Leitung Charles Ro- gier's und Frere-Orban's, ernannte, drei Tage später die Kammer auflöste und Neuwahlen anordnete, die ein freisinniges Unterhaus ergaben. Als dies am 15. December zusammentrat, war die Krisis überwunden und durch den rechtzeitigen Entschluß des Monarchen eine Harmonie, die nur der von Frankreich ausgeübte Druck bisher gestört, dem dankbaren Lande zurückgegeben. Viel mehr noch deshalb, als ihrer Freisinnig- keit wegen sah der mächtige Nachbar sehr scheel zu dem Amtsantritte eines Rogier und Frere-Orban. Am allerwenigsten ihnen wollte er daher eine jener Verlegenheiten ersparen, die er allen kleinen Grenzstaaten bereitete, indem er in Folge des Attentates die seit dem Staatsstreiche chronisch gewordenen Forderungen an sie wiederholte: sie hätten sammt und sonders ihre heimischen Institutionen so umzuwandeln, daß Frankreich, oder, richtiger gesagt, die Dynastie Napoleon, dadurch nicht genirt werde. Die stereotypen Ansprüche in Bezug auf Beschränkung der Preßfreiheit und des Asylrechts, auf Verschärfung der Strafen für politische Vergehen gegen auswärtige Regierungen u. s. w. kamen dies Mal in gesteigertem Maße zum Vorschein und wurden um so unliebsamer, da sie mit der Einführung von Paßvexationen ander französischen Grenze Hand in Hand gingen, die schon an und für sich zu vielerlei internationalen Konflikten Veranlassung bieten mußten. Indessen, durch die Hochherzigkeit seines Fürsten in sich selber gefestigt und auf seinen richtigen Schwerpunkt gestellt, zog Belgien sich ohne allen Schaden an seiner Ehre oder an seinem Frieden aus der Affaire. Die Kammer vo- tirte am 3. Februar beinahe Einstimmig die Verlängerung des abgelaufenen Fremdenpolizeigesetzes; auch hielt das Ministerium den, den französischen Behörden so antipathischen Flüchtling Charraö, den am 2. December 1851 aus seinem Vaterlande vertriebenen Obersten, aus d»r belgischen Hauptstadt ferne; sodann ward am 5. Mär; eine Gesetzvorlage angenommen , welche wegen Beleidigung fremder Regenten die gerichtliche Verfolgung von Amts wegen anordncte, während es bis dahin lediglich Sache des Vertreters des betreffenden Hofes gewesen war, klagbar einzuschreiten; endlich bewiesen mehrere Preß- proceffe, die der Staatsanwalt gegen das „Croco- | dile" und einige andere, das Attentat vertheidigende Blätter einleitete, daß es der Regierung mit diesen Zugeständnissen Ernst war. Damit aber mußte Graf Walewski sich wohl oder übel begnügen: um so mehr, als er sich gleichzeitig noch ganz andere und bedenklichere Complicationen auf den Hals geladen. Mit Piemont freilich ward er bald fertig. Es war wohl gerade kein Geheimniß, daß auch hier das Tuilerien- kabinet die Hand im Spiele hatte, wenn in Turin der Minister des Innern, Rattazzi, am 15. Jänner 1858, unmittelbar nachdem er sich für Freiheit der Wahlen und gegen den Einfluß der Geistlichkeit auf die letzteren erklärt, sein Portefeuille niederlegte: und der Gesetzentwurf über Verschwörungen gegen das Leben eines fremden Souverains, sowie über eine Abänderung des Geschworncnwesens, den der Justizminister Deforesta auf Walewski's Verlangen der Kammer am 17. Februar vorlegte, fand deshalb Anfangs keine allzufreundliche Aufnahme. Allein der Brief, den Orsim aus der Conciergerie an den Kaiser gerichtet und der Napoleon III. wieder einmal zur Abwechslung auf das Piedestal eines Befreiers Italiens in epe erhob; dieser Brief und seine öffentliche Verlesung im Gerichtssaal, zu welcher der Vertheidiger Orsini's ausdrücklich von dem Adressaten ermächtigt war: sie glichen Alles wieder aus. Am 29. April ward das Gesetz Deforesta mit 110 gegen blos 42 Stimmen votirt: denn nur die äußerste Linke und die äußerste Rechte waren klug genug, nicht in die, ihrem Patriotismus gestellte Falle zu gehen, da sie, wenn auch aus gerade entgegengesetzten Motiven, doch beide gleich starke Antipathien gegen alle auf das imperialistische Frankreich gerichteten Hoffnungen hegten. Einen häßlicheren Verlauf schon nahmen die Verhandlungen mit der Schweiz. Die Eidgenossenschaft hatte es allerdings wohl mit Frankreich zu danken, daß sie durch den Pariser Vertrag vom 26. Mai 1857 die mißliche Neuen, burger Frage, die neun Jahre gleich einem Damoklesschwert über ihrem Haupte geschwebt, losgeworden war: allein der hochfahrende Ton, den der mächtige Nachbar bei dieser Gelegenheit gegen die kleine Republik angeschlagen und der so recht deutlich zeigte, wie es demselben nur darum zu thun war, sich selber durch eine neue Pariser Conferenz ein Relief zu verleihen, hatte die Söhne Tell's jeder Verpflichtung enthoben und Alles quitt gemacht. Sie trugen daher, den neuen Ansprüchen Frankreichs gegenüber, den Nacken ziemlich steif. Unter dem 14. Februar richtete der kaiserliche Minister des Auswärtigen eine Note folgenden Inhalts an den Bundesrath: die französische Regierung dringt wiederholt auf die Entfernung der italienischen und französischen Flüchtlinge aus den Grenzcantonen und auf Jnternirung derselben an abgelegeneren Punkten; die Bundesregierung würde die Bedingungen der schweizerischen Neutralität verkennen und ihre Tragweite mißbrauchen, wenn sie es durch Stillschweigen oder Unthä- tigkeit dulden wollte, daß die Flüchtlinge, besonders in k