Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres

142 Geschichte des Jahres. die Bosniaken in Folge der Verkündigung des Hat- humayum bei dem Vezier in Sarajewo um die Ab­schaffung vieler Steuern petitionirt. Im October entsandten sie eine Deputation an den türkischen Ge­sandten in Wien, den Fürsten Kallimaki, der die Ab­geordneten freundlich aufnahm und ihre Beschwerden dem Sultan zuschickte. Allein das Ansehen der Beg's war so groß, daß der Vezier von Bosnien den rück­kehrenden Deputaten ihre Papiere ohne weiters ab­nehmen und sie selber in's Gefängniß werfen ließ und das Schicksal ihrer Landsleute, trotz aller Befehle aus Byzanz, durch diesen Schritt eher verschlimmert, als gebessert wärd. Darauf griff ein Theil der Rajah in Bosnien und der Herzegowina zu den Waffen gegen ihre Peiniger, die türkischen Bey's: eine breitere Basis aber gewann der Aufstand erst, als auch die Montenegriner ihre Raub- und Plünderungszüge wieder aufnahmen, sich mit den Insurgenten der Herzegowina geradezu vereinten, und so der ganze Norden und Westen der europäischen Türkei ein gro­ßer Heerd der Rebellion zu werden drohte, dessen Flammen nicht verfehlen fönten, bald auch nach Bulgarien hinüberzuschlagen. Am 10. December erhoben sich die Christen der Herzegowina wider die Türken. Sie attakirten die türkische Garnison von Riva, steckten die Kasernen in Brand, verschanzten sich sodann bei dem Kloster Duzt unweit Trebinge — eine Position, aus der sie erst am 23. durch die Trup­pen des Pascha's von Mostar vertrieben wurden. Gleich nach Neujahr kam ihnen Danilo zu Hilfe, dessen Czernagorzen vom 3. bis zum 5. Jänner 1858 harte Kämpfe bei Trebinge bestanden, das türkische Dorf Popowo stürmten und in Brand steckten und nicht eher Halt machten, als vor den Thoren Trebin- ge's, dessen Mauern ihnen einen unbezwinglichen Widerstand entgegensetzten. Rajah's und Montene­griner vereinten sich nunmehr; am 11. nn- 22. Fe­bruar erfolgten neue heftige Gefechte bei Zubci, bis die ottomamschen Soldaten am 1. März das Kloster Duzi besetzten. Die Pforte raffte sich nunmehr zu den äußersten Anstrengungen auf: Truppen auf Truppen wurden auf dem Seewege aus dem Bosporus nach dem Hafen von Kleck befördert; auch gelang es ihnen wirklich, den verbündeten Heeren Damlo's und der herzegowinischen Christen am 21. April bei Zarag- viza eine arge Niederlage beizubringen. Allein immer gebieterischer erscholl inzwischen die Stimme Herrn v. Thouvenel's in Constantinopel, der Einstellung des Blutvergießens verlangte, auf daß Graf Walewski neuen Stoff für seine Pariser Conferenzen gewinne. Vom 11. bis 14. Mai wurden die Treffen von Gra- howo geschlagen, in deren Folge das Tuilerienkabinet mittelst seiner bekannten Flottendemonftration die montenegrinische Angelegenheit zu dem Range einer „europäischen Frage" erhob. Die Darstellung dieser Ereignisse jedoch müssen wir verschieben, bis wir den Faden der allgemeinen Politik so weit geführt haben. Hier genüge die Bemerkung, daß die türkischen Be­fehlshaber sich seitdem mit Versuchen zu einer Pacifi- cirung der Herzegowina und Boönien's begnügen mußten, die natürlich nur sehr dürftige Resultate zu Tage fördern konnten, da der eigentliche Brenn­punkt der ganzen Bewegung, die Czernagora, durch Fraukreich's Machtwort für sie zu einem Rühr­michnichtan gestempelt war — und überdies auch gleichzeitig, Mitte Mai die Jnsurrection der Rajah auf Candia ausbrach, die dem französische Consul auf der Insel, im Vereine mit den französischen Gesand­ten zu Athen, selbstverständlich nach besten Kräften förderte. j Es erübrigt uns noch, mit wenigen Worten die letzte der, durch den Märzvertrag angeregten Fragen von genereller Tragweite zu erörtern. Der Pariser Frieden hatte die S ch i f f f a h r t a u f d e r D o n a'u im Principe sreigegeben, indem er erklärte, daß die, auf dem Wiener Congreffe 1815 für die Befahrung in­ternationaler Flüsse ausgestellten Grundsätze fortan auch auf diesen Strom Anwendung finden sollten. Zur Realisirung dieser Bestimmung warenzwei Com­missionen eingesetzt worden: eine temporäre euro­päische, von allen sieben Unterzeichnern des Friedens­schlusses beschickte in Galatz, die im Zeiträume von zwei Jahren die, zur Schiffbarmachung der unteren Donau erforderlichen Pläne entwerfen; und eine per­manente der sieben Uferftaaten, welche die neue Navi­gationsakte ausarbeiten, der Pariser Konferenz „zur Kenntnißnahme" vorlegen und sodann deren Exequi- rung überwachen sollte. Die europäische Commission, die sich natürlich fast ganz auf das Urtheil der ihr zugesellten Sachverständigen verlassen mußte, konnte natürlich zu eigentlichen politischen Debatten nicht wohl Veranlassung geben, da bei ihren Diskussionen der technische Gesichtspunkt selbstverständlich derartig überwog, daß jeder andere davor, wenn auch nicht ganz verschwand, so doch vollständig in den Hinter­grund trat. Wir brauchen also nur zu sagen, daß jedederdrei Mündungen, zwischen deren Schiffbarma­chung man die Wahl hatte, die Kilia, die Sulina und der St. Georgsarm, ihre Befürworter fand und daß die Sache einstweilen noch ganz und gar in suspenso ist. Zu sehr ernsthaften Verhandlungen führte dagegen die Navigationsakte, welche von den in Wien tagenden Bevollmächtigten der souveränen Uferstaaten am 7. November 1857unterzeichnetward. Graf Walewski erhob dagegen vorneweg zwei prin- cipielle Einwürfe. Einmal waren zur Signatur nur die Delegirten der vier unabhängigen Staaten — Türkei, Oesterreich, Baiern und Würtemberg — zu- gelaffen worden, nicht aber die Commissare Serbiens, der Walachei und der Moldau. In die ehrgeizigen Projekte des Tuilerienkabinets nun hätte es vortreff­lich gepaßt, wenn es ihm gelungen wäre, den Kom­missären der drei Fürstenthümer hier dasselbe Recht zu vindiciren, wie den Delegirten der vier souveränen

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