Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres

Geschichte des Jahres. 143 " Staaten. Das wäre nicht nur ein neuer und ge­schickter Zug gegen die Oberherrlichkeit der Pforte; es wäre die Anwesenheit eines serbischen, walachischen und moldauischen Deputirten auch ein prächtiger Hebel für Frankreich gewesen, um eine fortwährende in­direkte Vertretung in dem Schoße der permanenten Commission zu genießen. Unter Berufung auf die ausdrückliche Unterscheidung, die der Märztraktat selber zwischen den C o m m i s s ä r e n der vier sou­veränen und den D e l e g i r t e n der drei türkischen Vasallenstaaten macht, welche letztere von den ersteren nur zugezogen werden sollen: setzte Oesterreich diesem Manöver das fait acompli der vollbrachten Unterzeichnung entgegen. Nun bot das französische Ministerium an den Höfen von Conftantinopel, München und Stuttgart Himmel und Erde auf, um die Ratificirung zu verhindern, die, der Regierung des Kaisers Napoleon zufolge, nicht eher stattfinden .dürfe, als bis die Pariser Conferenz das Aktenstück „geprüft" habe. Auch dieser Schachzug mißlang und die Ratification erfolgte von allen vier Mächten un­beanstandet. Er war um so unglücklicher, als der Märzvertrag der Conferenz ganz ausdrücklich blos das Recht der „Aktnahme", nicht aber d a s der „Prü­fung" vindicirte; und als Graf Walewski Wendun­gen gebrauchte, die nur zu deutlich seine Absicht kund- gaben, den Fluß gewissermaßen zu exterritoriali- ,siren und der beständigen Kontrolle des Pariser Areo- pages zu unterwerfen, was natürlich all e Mächte bedenklich machen, insbesondere jedoch Baiern und Würtemberg verletzen mußte, die ja an dem Ab­schlüsse des Friedens vom 31. März 1856 gar uicht einmal participirt hatten und nun aus Grund des­selben eines nicht unwichtigen Theiles ihrer Landes­hoheit beraubt werden sollten. Frankreich mußte daher sowohl von seinen Exterritorialisirungsgelüsten als auch von dem Plane abstehen, die drei Vasallenstaaten der Pforte mit dieser auf gleiche Stufe zu stellen; nur da hatte es auf den Beistand der übrigen vier Mächte zu rechnen, wo es sich lediglich um eine Dis- cuffion über den I nh al t der Schifffahrtssakte selber handelte. Es war nur natürlich, daß Frankreich, Ruß­land, Preußen, Sardinien und England in dieser Beziehung von den Uferstaaten so viel als thunlich zu erlangen trachteten! Andrerseits war es jedoch auch schwer, dem Wiener Kabineté Unrecht zu geben,wenn dieses durch eine Vergleichung zwischen dem Vertrage vom 7. November und den Elbe-, Rhein-, Weser- Schiffsahrtsakten handgreiflich nachwies, daß es in der Anwendung der, von dem Wiener Congresse auf­gestellten Principien auf die Donau viel liberaler .zu Werke gegangen sei, als dies früher beiden Elbe-, Rhein-undWeser-Uferstaaten der Fall gewesen ; wenn es die Zumuthung zurückwies, gerade auf der Dvnau auch den Nichtuferstaaten die Kabotage, die Küstenfahrt von Einem Flußhafen zum anderen, zu gestatten, was doch aus keiner einzigen der konven­tionellen Wasserstraßen geschehen sei. So schloß denn der über diese Angelegenheit in Gang gekommene Notenwechsel Ende Jänner damit ab, daß Frankreich die Idee, die permanente Uferstaatencommission der Pariser Conferenz unterzuordnen oder andere als die souveränen Uferstaaten in ihr vertreten zu sehen, stillschweigend xm den Nagel hing: während dafür Oesterreich und die Türkei sich anheischig mach­ten, die etwaigen Ausstellungen der übrigen Confe- renzmächte an dem Novembererdokumente den Höfen von Stuttgart und München mitzutheilen und in Gemeinschaft mit denselben in einer eventuell dem Traktate beizugebenden Additionalakte nach Möglich­keit zu berücksichtigen. Hiemit hätten wir nun alle, aus dem Märztrak­tate resultirenden Fragen bis zu. dem Momente ge­führt, wo ihnen die Intervention Frankreich's und sodann die Gesammt-Einmischung der Großmächte einen neuen Impuls verlieh; und könnten daher die Ereignisse in Asien bis zu dem gleichen Zeitpunkte nachholen: wenn wir nicht, mindestens in aller Kürze noch einer Katastrophe gedenken müßten, die, ob­wohl volkswirthschaftlichen Ursprunges, doch zu schwer auf der alten wie auf der neuen Welt lastete, als daß sie nicht auch Einfluß auf die Politik hätte aus­üben sollen. Wir meinen die beispiellose Handels­krisis, die während der letzten drei Monate des Jahres 1857 so hart auf Europa und Amerika drückte, daß es wohl mit dieser Pression zuzuschreiben ist, wenn man allenthalben sich froh und bereitwillig zeigte, drohende Conflicte durch wie immer geartete Kompromisse zu vertagen. Selbstverständlich darf hier von einem Raisonnement über die ökonomischen Ursachen der Krisis nicht die Rede sein. Nur so viel sei erwähnt, daß sie in einer, aus Anlaß des Friedens­schlusses zu einer schwindelnden Höhe getriebenen Ue- bespeculation wurzelte, die ihrerseits wieder eben so natürlich zu einer maßlosen Anspannung des Kredites und zu einer eben so allgemeinen wie unerhörten Wechselreiterei trieb. In Folge davon war auf beiden Seiten des atlantischen Oceans eine einzige, über das Weltmeer nach England und von dort nach dem europäischen Kontinente ausgespannte Kette des Kre­dites so scharf angezogen, daß der Riß des kleinsten Gliedes in einen universellen Krach ausarten mußte. Da brachten im Herbste 1857 die in Nordamerika ausbrechenden Bankerotte die Seifenblase zum Plat­zen : Londoner Häuser, welche mit den Falliten der Vereinigten Staaten in Verbindung standen, folgten nach; die britischen wie die amerikanischen Unfälle drückten mit zweifacher Wucht auf den Hamburger Markt, von dem aus das Heftet sich dann mit rei­ßender Schnelligkeit über den ganzen scandinavischen Norden, über die gesammte Ostseeküste und tief hin­unter bis nach Polen und Sachsen verbreitete. Auch die übrigen Staaten unseres Erdtheiles wurden in harte Mitleidenschaft gezogen, so namentlich Oester-

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