Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)
Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres
Geschichte des Jahres. 141 dabei eines alten Dieners, der von Belgrad aus die Privatgüter des Vertriebenen verwaltete, als Vermittler bedient. Daß Alexander an dies Gerücht glaubte, zeigte er durch den Befehl zur Arretirung dieses Mannes — und so lautete denn die endliche Anklageakte in ihren wesentlichen Punkten dahin: die Jnquisiten haben die Ermordung des regierenden Fürsten beabsichtigt, ohne mit sich darüber im Reinen zu sein, wer Alexanders Nachfolger werden solle; sie wollten nicht für Milosch intriguiren, setzten sich aber doch mit ihm in Verbindung, um von dem Greise Geld für ihre Zwecke auszupreffen; Letzterer ging in die Falle und ließ durch Dr. Patschek in Belgrad den Senatoren 5000 Dukaten auszahlen, wofür dann Damjanowitsch die Besorgung des Meuchelmörders übernahm. Auf Grund dieser Anklageakte wurden schon am 3. November acht gewesene Senatoren zum Tode und zwei andere zu lebenslänglichem Kerker verurtheilt, zu welcher milderen Strafe Fürst Alexander die des Lebens verlustig Erklärten ebenfalls begnadigte. Alle zusammen wurden jedoch als Sträflinge in enger und entehrender Haft in einem Pro- vinzialzuchthause gehalten, wo Einer von ihnen hinnen wenigen Monaten starb — das Volk zweifelte, ob an der harten Behandlung, die ihm und seinen Leidensgenossen zu Theil ward, oder gar an Gift. Die Stimmung in dem gesammten Lande in Folge dieser aufregenden Vorfälle war der Art, daß ihr gegenüber Angesichts der russischen und französischen Proteste, mit dem Fürsten Milosch als Prätendenten hart an den Grenzen Serbiens, Alexander bald nur noch darauf denken konnte, durch schleunige und unbedingte Nachgiebigkeit wenigstens den Thron für sich und seine Familie zu retten — um so mehr als die Pforte einen eigenen Komissarius Ethem Pascha znr Untersuchung des ganzen Herganges abordnete und dieser sich noch vor seinem Einzuge in Belgrad mit der gestürzten Partei in die innigste Verbindung setzte. So hart es dem Fürsten ankam: er mußte weichen. Am 31. März 1858 wurden die angeblichen Verschwörer zum Erile amnestirt; um dieselbe Zeit ging ein Ministerwechsel und eine Neubesetzung der erledigten Senatsstellen vor sich, durch welche die ganze Fülle der Gewalt in die Hände der im October zu Boden geschlagenen Fraktion gelangte, an ihrer Spitze Wutschitsch und Garaschanin. Am 10. Mai mußte der Fürst überdies, nach sechstägigemBedenken, mit schwerem Herzen die ihm unterbreiteten Aende- rnngen an dem organischen Statute des Senates unterschreiben, welche ihn selber zu einem reinen Schattenbilde erniedrigten, da er sich dadurch verpflichtete, fortan nur Senatoren zu Ministern zu ernennen; den Senat sich selbst ergänzen zu lasten; seine Räthe für dem Senate verantwortlich zu erklären; keinen Senator anders als auf Grund eines Senatsbeschlusses zu verhaften und vor kein anderes Tribunal, als das, von dieser Körverschast selber zu ernennende ' Forum zu stellen; das Endurtheil aber zur Sanc- tionirung nach Constantinopel zu senden. Die fürstliche Gewalt war damit natürlich zu einem bloßen Puppenspiele herabgesunken.'Das einzige gute Geschäft hatte die Türkei gemacht, die sich nunmehr in unzweideutigen Ausdrücken zu dem officiellen Schiedsrichter für alle zukünftigen Streitigkeiten zwischen Fürst und Senat erhoben sah: und dabei hatte Ethem Pascha noch den Genuß, in Belgrad als der Held des Tages gefeiert zu werden, da er im Namen deö Sultans das zwischen beiden Theilen geschlossene Abkommen ratificirte. Daß bei alledem auch die Pforte kaum Grund hat, sich zu der Art wie die serbischen Verwicklungen zu einem vorläustgen Kompromisse gebracht wurden, unbedingt Glück zu wünscben: werden wir weiter unten sehen, wenn wir an jene Epoche des Jahres 1858 kommen, wo, nach der Unterzeichnung der Donaufürsteüthümerkonvention vom 20. August, Rumänien und Serbien auf's neue der Mittelpunkt einer gefährlichen Agitation wurden, die wenigstens in Serbien nichts anderes war, als die naturgemäße Consequenz der October- und Mai-Ka- taftrophen. Ungleich schwieriger aber noch, als in Bezug auf ihre drei Vasallenstaaten an der Donau gestaltete sich die Lage der Türkei der R a j a h ihres eigenen Reiches in Bosnien und in der Herzegowina gegenüber, die mit dem Erlasse des, die Christen den Moslim ebenbürtig hinstellenden Hathumapum vom Februar 1856 den Tag der Befreiung angebrochen glaubte und, als sie fand, daß auch nach Abschluß des Pariser Friedens keine einzige ihrer Erwartungen sich realisirte, um so bereitwilliger war, sich mit den Waffen in der Hand ihrer Bedränger, der türkischen Beg's, zu entledigen, als sie dabei an dem Fürsten Danilo von Montenegro, der die 1856 von Frankreich und Rußland in ihm angeregten Hoffnungen auf den Erwerb der Ebene von Grahowo und eines Hafens so wie auf Abschüttelung der türkischen Oberhoheit nicht vergessen hatte, einen trefflichen Bundesgenossen hatte. Noch mehr! Frankreich begünstigte alle diese Umtriebe nach Kräften, da es nichts sehnlicher wünschte, als alle die Ausführung des Hat's und die Christenemancipation betreffenden Maßregeln vor den Areopag der Pariser Conferenzen zu ziehen. Andererseits konnte die Pforte gerade bei der gegenwärtigen Stimmung der Rajah um so weniger etwas für die Erleichterung derselben thun, als sie durch Abschaffung der drückenden Grundabgaben, welche die muhamedanischen Gutsherren in Bosnien und der Herzegowina willkürlich erpressen, eine mächtige und kriegerische, der Türkei unbedingt ergebene Kaste pecuniär ruinirt und sich selber entfremdet hätte, ohne anderen Dank dafür zu ernten, als daß sie sich durch Kräftigung und Unterstützung der christ- i lichen Bauern eine Schlange am eigenen Busen er- > wärmt und großgezogen. Schon im Mai 1857 hatten