Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres

Geschichte des Jahres. 139 Abberufung zu verwandeln: im Juli ward Lord Red- cliffe durch SirHenry Bulwer ersetzt. Allein es scheint, daß in Osborne auch Graf Walewski sich zur Abbe­rufung Thouvenel's verpflichtete: und da die Erfül­lung dieser Verheißung fort und fort auf sich warten ließ, trat Lord Redcliffe im Sommer 1858 noch Ein Mal zur Zeit der Conferenz wegen der montenegri­nischen Grenzregulirung in der türkischen Hauptstadt auf — angeblich um dem Sultan seine Abberufung von dem Gesandtschaftsposten in Person mitzutheilen; in Wahrheit, um seinem Nachfolger alle möglichen Schwierigkeiten zu bereiten und den Padischah zum Auöharren gegen die französisch-montenegrinischen Ansprüche zu ermahnen. Dies mißlang : wohl aber ward der andere Zweck erreicht, durch Redcliffe's Erscheinen am Bosporus dem Tuilerienkabinete eine eindringliche Mahnung wegen seines Säumens mit der Versetzung Thouvenel's zu ertheilen. Kaum hatte der edle Lord diesmal definitiv Constantinopel den Rücken gekehrt, als auch der französische Gesandte Mitte November 1856 die erfolgte (Beilegung der mon­tenegrinischen Frage zum Vorwände nahm, um „auf Urlaub " zu gehen. Redcliffes Entfernung und Re- schid's Tod milderten die Rückwirkungen, die der Fall Delhi's ausübte: immer jedoch blieb so viel da­von übrig, daß mit Neujahr 1858 die Triumphe, die Frankreich im August und September 1857 errun­gen, so ziemlich vollständig paralysirt waren. Bestimmter noch als in der Haltung der D i- vans ad hoc, an der im November schon nicht mehr viel zn ändern war, offenbarte sich die Tragweite der zu Constantinopel vorgegangenenBer- änderungen in der Festigkeit, mit welcher die Pforte, allen Divansbeschlüssen zum Trotze, den unioniftischen Mächten gegenüber auftrat, und in der Schnelligkeit, mit der sie sich der beiden unliebsamen Versammlun­gen entledigte. Am 4. Oktober 1857 hatte Kaima- kam VogorideS den Divan der Moldau zu Jassy, acht Tage später Kaimakam Ghika d e n der Walachei zu Bukureft eröffnet. Vorher noch, am 23. Septem­ber, hatte die Türkei in einem Rundschreiben an ihre Agenten bei den übrigen sechs Unterzeichnern des Pariser Friedens erklärt: ihre Zustimmung zur Cas- sirung der moldauischen Wahlen sei durchaus nicht so zu deuten, als liege darin eine Aenderung ihrer Ansichten über das Unionsprojekt; vielmehr verwerfe sie hiemit ausdrücklich von vorne herein und unter Berufung auf den Märztraktat jeden Vereinigungs- plan, der etwa aus den Berathungen der Divans hervorgehen könne; sie werde nichts mehr zugestehen, als Gleichheit gewisser administrativer Gesetze; dieser ihr Protest sei ihr abgedrungen durch die Augusivor- gänge, welche der, die Erhaltung des status quo wünschenden Partei in den Fürftenthümern allen Muth zur Erhebung ihrer Stimme geraubt hätten. Obschon Frankreich und Sardinienhierauf gar nichts, Preußen und Rußland aber in eigenen Circularde­peschen erwiderten, daß sie keinen Grund absähen, ihr bisheriges- Vorgehen zu ändern, und daß sie jetzt die Wünsche derDivans abwarteten, um danach ihr eige­nes Endurtheil, das sie der Pariser Conferenz vor­legen würden, zu formuliren; obschon Fürst Gort- schakoff die Bemühung der Pforte, die ganze Orga- nisationsfrage vor Anhörung der Divans ad hoc zu präjudiciren, geradezu tadelte: wiederholte das Conftantinopler Kabinet unter dem 23. October doch in einer neuen Note an die sechs Mächte einfach, daß es bei der Anschauung die es unter dem 23. Sep­tember entwickelt, verbleibe und sich hiemit nochmals kurzweg gegen jeden eventuellen Angriff auf die Rechte der Türkei als einer souveränen Macht undaufdieJnte- gritätihres Besitzstandes feierlich verwahre.Inzwischen hatte am 10. October der Divan von Jassy folgende sechs Forderungen aufgestellt: Achtung der Rechte der Fürstenthümer und namentlich ihrer Autonomie nach Inhalt der alten Capitulationen; Vereinigung beider Provinzen in Einen Staat, der den Namen „Ru­mänien" führen solle; ein fremder, erblicher, aus Einer der regierenden Dynastien Enropa's erwählter Fürst, dessen Nachfolger in der griechischen Religion zu erziehen seien; Neutralität des rumänischen Ge­bietes ; die gesetzgebende Gewalten den Händen einer Nationalversammlung, in der' alle Interessen des Volkes vertreten sein müßten; gemeinsame Gewähr­leistung der sieben Mächte, die den Pariser Frieden unterzeichnet, für alle obigen Institutionen. Mit 82 Stimmen gegen 2 war dieser Beschluß gefaßt wor­den. Einstimmig trat ihm zwei Tage darauf in allen seinen wesentlichen Punkten der Bukurester Divan bei. Auch er verlangte: Anerkennung der Selbstständig­keit der Fürstenthümer nach Anleitung der früheren Capitulationen; beständige Neutralität dcs Landes; Vereinigung mit der Moldau unter einem ausländi­schen erblichen Fürsten, dessen Nachkommen das grie­chische Bekenntniß annehmen müßten; und Proklami- rung einer Repräsentativverfassung. Auch bei den weiteren Schritten übernahm die Jassyer Versamm­lung die Führung. Am 26. October entwarf sie die Grundzüge des Verhältnisses, in dem die gesetzge­bende zur Executiv-Macht stehen solle, wobei sie dem Fürsten zwar ein Veto bewilligte, zugleich aber das Einkammersystem adoptirte und die Institution eines, wie immer gearteten Senates ausschloß. Dagegen überließ sie, gleichsam um der Pforte auf der anderen Seite zu schmeicheln und auf Anrathen der Agenten Rußland's und Frankreichs, die Regelung bet Tri- butfrage am 8. December der Pariser Conferenz. Am 10. November votirte der moldauische Divan sodann das nachstehende Neformprogramm: Freiheit der Kulte; Reorganisation der Armee mit Bezug auf die Neutralität und auf die gemeinsame Bertheidigung beider Fürstenthümer; Gleichheit vordem Gesetze; allgemeine Steuerpflichtigkeit und Dienstpflicht; Be- rechtigung^aller Rumänen zu sämmtlichen Staats­j*

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