Folia archeologica 48.

Endre Tóth: A magyar koronázási jogar

148 ENDRE TÓTH spezifisches Charakteristikum der mittelalterlichen Mentalität war das Prinzip des pars pro toto, das sich im religiösen Leben und in den Bräuchen tagtäglich auswirkte. Für die Christen war die Meßfeier eine sich stets wiederholende Handlung, in der die Eucharistie ein alltäglicher, realer - weil sichtbarer - Ausdruck der lebendigen Wirklichkeit der "Vertretung" des Ganzen (Christus) durch den Teil (Oblate-Brot­Eucharistie) war. Das trifft ungeachtet dessen zu, daß die Kirchenvertreter genau wußten, daß nicht das die theologische Deutung der Konsekration des Brotes sei. Und sollte die frühmittelalterliche Praxis der Reliquienverehrung des westlichen Christentums etwa etwas anderes ausdrücken? Es war die Zeit, als die corpuscula der Märtyrer den Altar zum "Heiligtum" (sacrum) machten, als die kleinsten Reliquien der Heiligen (sancti) sozusagen die ganze Wirklichkeit des Heiligen ausdrückten. Für das Volk noch handgreiflicher, einsehbarer machten dies die menschlichen Körperteile darstellenden Fassungen, vor allem die Reliquiarbüsten. Und wenn die Kleidung, die Gebrauchsgegenstände, die Geräte der Blutzeugenschaft eines Heiligen, also all jene Gegenstände, die ihm am persönlichsten waren, zu Reliquien wurden, dann eigneten sich die 'Gebrauchsgegenstände" des ersten heiliggesprochenen Königs am besten, bei der kirchlichen Zeremonie für den Kandidaten zum Mittel der Weihe, also zu seinen Insignien zu werden. 19 0 Deshalb wählte man aus der Schatzkammer in der Székesfehérvárer Basilika jenes Meßgewand als Krönungsmantel, das nicht nur wegen seines Glanzes am entsprechendsten war, 19 1 sondern das zum ersten ungarischen König in Beziehung stand. Vielleicht wußte man sogar, daß es 1031 ein Jubiläumsgeschenk anläßlich des 30. Jahrestages seiner Krönung war. 192 Deshalb wählte man dieses Zepter, von dem man wohl wußte, daß es Stephan dem Heiligen gehört hatte, 19 3 obwohl seine ungewöhnliche Form von den damals 19 0 Über das Prinzip äußert sich Fügedi 1984, 268 ebenso, nur scheint ihm dessen praktische Verwirklichung im Falle Stephans des Heiligen - irrtümlich - nicht gegeben. 19 1 Die Basilika hat gewiß zahlreiche Paramente besessen, die mit Stephan dem Heiligen zu verbinden waren. 19 2 Tóth 1996, 45-48. 19 3 In der Abtei von Zalavár hielt man noch in der Mitte des 16. Jh. das Horn Stephans des Heiligen in Evidenz ( Fiissy T., PRT VII, Anhang Nr. 106, 598-606, Tóth E., Szent adorján és Zalavár [Der hl. Adorján und Zalavár], Századok 133, 1999, 15). Vor 1307 verkaufte man das in der Abtei von Somogyvár aulbewahrte unum cifum sancti regis (Veszprémi regeszták 1301-1387 [Regesten von Veszp­rém 1301-1387], zusammengestellt von Kumorowitz L. Bernát, Budapest 1953, Nr. 35). Hier sei bemerkt, daß (ein?) Kopfreliquiar Stephans des Heiligen im Besitz der Königin Isabella war und daß er nicht einfach ein Goldschmiedestück gewesen sein wird, wenn sogar Alfons Castaldo auf ihn aufmerksam wurde und Ferdinand I. empfahl, ihn zu erwerben ( Ováry L., A Magyar Tud. Akadémia Történelmi bizottságának oklevél - másolatai .[Urkundenkopien der Historischen Kommission der Ungarischen Akademie der Wissenschaften], II, Budapest 1894, nr. 633). Und 1542 bewahrte man im Reliquiar der Kirche von Remetincz eine Rippe Stephans des Heiligen auf: Costa sancti Stephani in argenteum accepta (Iványi B ., A körmendi levéltár Memorabiliái [Memorabilien des Archivs von Kör­mend], Körmendi Füzetek 2, Körmend 1942, Nr. 141, p. 102). Erik Fügedi äußert sich skeptisch darüber (1984, 268), wie lange Zeit die Erinnerung zu nachdrücklicher Wirkung fähig ist. Doch in den kirchlichen Zentren mochte sich ohne jede schriftliche Fixierung die Geschichte eines für uns wichtigen, interessanten oder denkwürdigen Gegenstands oder Ereignisses jahrhundertelang bewahren. Im bischöflichen Amt von Szombat­hely werden einige einfache, nichtssagende Holzstäbchen aufbewahrt, auf denen Menyhért Hefele, der Baumeister der Kirche, in den 1790er Jahren mittels eingeritzter Linien rechnete. Die Tätigkeit der mündlichen Tradition und die Aufrechterhaltung der Erinnerung können nicht einfach als Generationenfrage behandelt werden. Wenn es in einer geschlossenen Gemeinschaft keine Katastrophen gibt, kann die mündliche Tradition jahrhundertelang bestehen bleiben. Die Äbtissin von Vásárhely Katalin Palásthy wußte noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts, daß Stephan der Heilige das Kloster für seine hinkende Verwandte Skolasztika gegründet hatte. Dabei hatte ein halbes Jahrhundert zuvor das Kloster noch den Orden gewechselt, die Benediktiner waren von den Prämonstratensern abgelöst worden (Lukcsics P, A vásárhelyi apácák története [Geschichte der Nonnen von Vásárhely], Veszprém 1923, 13). Bischofssitze und Klöster waren besonders für die Vermittlung geeignet: Vollständige Tabula rasa schufen in dieser Hinsicht nur der Mongolensturm, die Entvölkerung während der Türkenbesetzung und endgültig die Verordnung Josephs II. über die Auflösung der Mönchsorden.

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