Friedrich Würthle: Ergänzungsband 9. Dokumente zum Sarajevoprozeß. Ein Quellenbericht (1978)

Die Attentäter der „Mlada Bosna”

17 nisse in Kroatien. Dort war im Jänner dieses Jahres der verhaßte Baron Slavko Cu vaj zum Banus von Kroatien, etwas später zum königlichen Kom­missär mit erweiterten Vollmachten ernannt worden. Er löste den kroati­schen Landtag auf, schloß die Agramer Universität, knebelte die Presse und warf politische Gegner in den Kerker. Um gegenüber diesem ,ungarischen Satrapen und Kroatenwürger Cuvaj‘ ihren Abscheu zum Ausdruck zu brin­gen, versammelten sich am 12. Februar in Sarajevo vor der katholischen Ka­thedrale kroatische Arbeiter und katholische Mittelschüler. Ihnen eilten ser­bisch-orthodoxe Kollegen zu Hilfe. Polizei und Militär schritten ein, und ein Gymnasiast26), ausgerechnet ein Mohammedaner, wurde durch einen Kopf­schuß schwer verletzt. Dieser Vorfall war das Signal zu weiteren Demonstra­tionszügen. Ein amtlicher Bericht27) meldet „tumultuose Ereignisse an den Sarajevoer Mittelschulen, einen fast allgemeinen Schü­lerstreik, welcher in Mostar, Travnik und Banja Luka Widerhall fand. Kaum war diese Affäre beigelegt, als sich am 10. März die Demonstrationen wegen der Ausschließung eines Schülers erneuerten. Die Gymnasiasten traten in den Streik und versuchten durch gewaltsames Eindringen in die übrigen Lehranstalten den Streik zu verallge­meinern. Die Polizei machte dem wüsten Treiben ein Ende und das Facit war eine Massendisziplinierung der beteiligten Schülerschaft“ 28). Der Bericht der Landesregierung übergeht die Zahl der Verhaftungen - es waren angeblich siebzehn —, die Verbrennung einer ungarischen Fahne und eine Folge der gemeinsamen Aktion, die Verbrüderung der serbischen Schü­ler mit den kroatischen29). Dedijer zitiert in diesem Zusammenhang den Brief30) eines Studenten, der an den Demonstrationen teünahm. Wenn seine Schilderung nicht übertrieben ist, dann war das scharfe Vorgehen der Polizei nicht unberechtigt. Ferner nennt Dedijer (4 96 ff) die Namen eines dalmatini­schen Serben und eines kroatischen Studenten. Beide kamen von auswärts nach Sarajevo — nur zu dem Zweck, dort Straßenkundgebungen zu organisie­ren. Der Dalmatiner war der Student Oskar Tartaglia, bereits damals in Ver­26) Salih Sahinagic; nach Dedijer 496 wurde der Schüler durch einen Gewehr­schuß verletzt; die Polizei, die eine Untersuchung gegen Wachebeamte eingeleitet hat­te, sprach von einer Pistolenkugel; siehe folg. Anm. 27) Bericht der Landesregierung in Sarajevo an das Gemeinsame Finanzministe­rium, 1914 November 14, veröffentlicht in Glasnik arhiva i druätva arhivskih radnika Bosne i Hercegovim 4—5 (1964—1965) 422. 2S) Ebenda. 29) Miloä Pjanic, ein Freund Princips, stellte in einem Artikel der Zeitschrift Zora (Wien), Jg. 1912 n. III fest: „Die Demonstration brachte uns - Serben, Kroaten und Muslim - zusammen, denn wir waren eins, trotz der peinlichen Streitigkeiten. An der Demonstration teilzunehmen, lehnten unter den Serben nur die Altradikalen ab“ (De­dijer 496). - Drago Ljubibratié Gavrilo Princip (Beograd 1960) 45: ,. . . Princip, Lazar Djukic und Marko Perin, die zwei Jahre später an der Verschwörung gegen Franz Ferdinand teilnahmen, und mehrere serbische Jugendliche marschierten an der Spitze des Zuges ... am nächsten Tag wurde in allen Schulen der Generalstreik^) aus­gerufen. Zum erstenmal in der Geschichte Bosniens nahmen Kroaten, Serben und Muslim gemeinsam am Streik teü . . . Princip ging von Klasse zu Klasse und bedrohte alle Schüler, die zögerten, mit dem Schlagring1. 30) Briefsammlung Mlada Bosna. Hg. von Voj. Bogicevié (Sarajevo 1964) 124. 2 Staatsarchiv, Ergänzungsband IX

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