Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

II. Der Monarch und seine Stellvertretung

79 Uhr fort, dann las er die Wiener Tageszeitung „Das Fremdenblatt“. Um fünf Uhr nahm er allein oder in Gesellschaft gerade anwesender Fami­lienmitglieder das Diner ein. Um neun Uhr begab er sich zu Bett. Wäh­rend des Sommeraufenthaltes in Ischl gönnte sich der Kaiser einige Er­holung. Auch dort stand er zur gewohnten Stunde auf. Nach dem ersten Frühstück unternahm er einen Spaziergang oder Ritt, von dem er um acht Uhr in seine Villa zurückkehrte, wo inzwischen alltäglich das Kurierpaket der Kabinettskanzlei eingelangt war. Dessen Erledigung dauerte bis Mit­tag, worauf er die Zeit bis zur Speisestunde um halb drei Uhr allein oder mit seinen Enkelkindern im Park verbrachte. Der Nachmittag war häufig der Jagd gewidmet. Daß der Kaiser zu ungewohnter Stunde Referenten zu sich beschieden hätte, weist Schiessl als Legende zurück 22 *). Auch Hof­sekretär Kray, der seit 1915 in der Kabinettskanzlei diente, erzählt, wie rücksichtsvoll der Kaiser gegen seine Angestellten war. Er berichtet, daß der Kaiser die diensthabenden Hofsekretäre nie vor sieben Uhr zu sich befahl. Den Kabinettsdirektor Braun, der auch ein Frühaufsteher war, habe er gewöhnlich gegen acht Uhr empfangen, den Sektionschef Daru- váry, von dem er gewußt habe, daß er kein Frühaufsteher sei, habe er selten vor elf Uhr zu sich beschieden 2S). Kaiser Karl I. (als König von Ungarn IV.) teilte in einem Gespräch, das er noch als Erzherzog mit dem Sektionsrat Arthur Ritter von Polzer in der Villa Wartholz bei Reichenau führte, diesem mit, daß er ihn, wenn er den Thron bestiegen haben werde, zu seinem Kabinettsdirektor machen wolle. Das Gespräch ist so kennzeichnend für Karls spätere Ar­beitsweise und für Polzers Auffassung der von ihm einzunehmenden Stelle, daß er hier nach Polzers Wiedergabe 24) angeführt werden möge. „Man muß sich nur selber kennen“, sagte der Erzherzog, „ich habe nicht die Veranlagung zum Aktenerledigen. Ich verkehre lieber unmittelbar mit den Menschen als mittels papierenen Zeugs. Sie dürfen mich nicht mißverstehen. Ich weiß sehr gut, daß auch schriftliche Arbeit geleistet werden muß, aber das werde ich meiner Umgebung überlassen. Von dieser werde ich überhaupt mehr fordern müssen, als dies gegenwärtig von Seiner Majestät geschieht. Baron Schiessl referiert nur einmal wöchent­lich. Mein künftiger Kabinettsdirektor wird mir die Akten vortragen, da ich mit der Zeit werde haushälterisch umgehen müssen. Ich muß Land und Leute kennen lernen, mit vielen Menschen in Berührung treten, um ein selbständiges Urteil zu gewinnen . .. Ich dankte dem Erzherzog für das gnädige Vertrauen und setzte hinzu, daß ich mich jedenfalls sofort 22) p. Frh. v. Schiessl, Aus dem Tagewerk Kaiser Franz Josefs, Neue Freie Presse Nr. 24898 vom 6. 1. 1934, Ders., Kaiser Franz Josefs Ischler Sommer, ebenda, 14. 1. 1934, Ders. in Erinnerungen an Franz Joseph I. hsg. v. E. R. v. Steinitz, Berlin 1931, S. 362 ff. 23) Kray, Im Dienste der Kabinettskanzlei, S. 59. 24) A. Graf Polzer-Hoditz, Kaiser Karl, Amalthea Verlag, 1929, S. 92 ff.

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