Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

II. Der Monarch und seine Stellvertretung

80 an die Arbeit machen würde, um mich für dieses Vertrauensamt sorg­fältig vorzubereiten. Nach Außen hin sei ein Kabinettsdirektor aller­dings nur der Vorstand der Kaiserlichen Schreibstube, in Wirklichkeit aber sei dessen Wirkungskreis ein anderer und seine Einflußsphäre eine bedeutend größere. An die Vortragerstattung würden sich naturgemäß politische Erörterungen knüpfen, und es sei Pflicht des Kabinettsdirek­tors, auf all das aufmerksam zu machen, was für die Schlußfassung zu wissen nötig sei. Ich müßte jedenfalls um die Gnade bitten, meinem allergnädigsten Herren rückhaltlos und offen meine Überzeugung vortra­gen und auch auf Fußangeln, an denen es gewiß nicht fehlen wird, auf­merksam machen zu dürfen. Der Erzherzog besann sich einen Augenblick und sagte hierauf: ,Wenn es sich da um Wichtiges handelt, kommt es dann eben zum Klappen, hier oder dort. Natürlich werde ich von Ihnen erwarten, daß Sie mich auf dasjenige aufmerksam machen, wovon Sie glauben, daß es für mich zu wissen nötig ist.“ Hierauf erhob sich der Erzherzog und begab sich mit mir in die Halle, wo auf einem Tisch eine versperrte Aktentasche lag. Er öffnete sie und zeigte mir, wie um­fangreich die Akten seien, die Seiner Majestät vorgelegt werden. Es wa­ren Akten, die im allerhöchsten Auftrag dem Erzherzog zur Entschlie­ßung überlassen waren25). ,Sie sehen, wieviel ich da zu lesen habe. Jetzt tue ich es, da ich die Zeit dazu habe. Später aber werde ich meine Zeit nicht mit Aktenlesen verbringen können. Das Studium der Akten wird Sache des Kabinettsdirektors sein, der sie mir dann wird vorzutragen haben.“ “ Als Erzherzog Karl den Thron bestieg, beließ er noch den verdienten Kabi­nettsdirektor seines Vorgängers, den Freiherrn von Schiessl, in seinem Amte, bis die Verlegung der kaiserlichen Residenz nach Baden ihn ver- anlaßte, Schiessl in den Ruhestand zu versetzen. Man darf wohl anneh­men, daß Schiessl auch Kaiser Karl regelmäßig nur einmal wöchentlich referiert hat, ansonst aber im Bedarfsfall vom Kaiser hiezu befohlen wurde. Auch als der Kaiser in Baden residierte, beschied er Schiessl wiederholt dahin. Nach der Übernahme der Leitung der Kabinettskanzlei referierte Polzer regelmäßig täglich dem Kaiser — wie es scheint immer abends — über die eingelaufenen Vorträge der Ministerien und Hof­stellen 26). Diesem täglichen Vortrag schloß Polzer stets auch eine mündli­che Übersicht über den wesentlichen Inhalt der Tagespresse an. Kaiser Karl arbeitete von acht Uhr Morgens bis spät in den Abend. Besonders wichtige Angelegenheiten veranlaßten natürlich auch Vorträge zu ande­rer Zeit und konnten Stunden erfordern27). Nachdem der Kaiser am 15. März 1917 seinen Aufenthalt von Baden nach Laxenburg verlegt hatte, wo er, vom sommerlichen Aufenthalt in der Villa Wartholz bei Reichenau 25) vgl. hiezu Kapitel II, Stellvertretung Kaiser Franz Josephs durch Erzh. Franz Karl. 2«) Polzer-Hoditz, a. a. O., S. 297, 343 f., 400, 475, 492. 27) Ebenda, S. 397 f.

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