Evangélikus Elemi Iskola, Budapest, 1886

14 möge sie es immerhin getrost than; grossen Tintzen dürfte sie da­von schwerlich erzielen. Darauf aber sehn sie wohl mit allem Ern­ste, dass diese Herzpiinktleins nicht in alles dreinschwätzen, besonders nicht, wenn Ältere sprechen; dass sie nicht zurückantworten und wenn ja, dies wenigstens nicht in einem Tone thun, der sie — ab­gesehen von dem Inhalte der Antwort — hinlänglich charakterisirt. Diesbezüglich gelte es demnach als erste Regel: Dem Kinde werde Alle s, w as ,,n a t ü r 1 i c h e r“ Anstand ist, angewöhnt, u. zwar von frühester Jugend an. Als zweite Regel : die conventionelle Höflichket sollen die Kinder auch lernen, aber erst dann, wenn die Einhaltung dieser Formen ihrem Charakter nichts mehr zu schaden vermag; und als dritte Regel: Leite die Kinder nicht an, sich als Herrlein und Fräulein zu geri- ren, sondern lasse sie so lange Kinder bleiben, so lange sie eben Kinder sind; heutzutage werden unsere Kinder ihrem Kindes- gliicke ohnedies viel zu frühe entrissen. Und endlich die vierte Re­gel : Dulde nie, dass sich das Kind über Andere ein Uriheil an- masse und vorlaut schwätze. — Vordem durften die Kinder nur wie Rekruten vor ihren Eltern und Vorgesetzten erscheinen. Das war unnatürlich und konnte sich eben deshalb nicht halten. Jetzt — so scheint es — huldigt die Mehrheit einem andern, ebensolch widersinnigem Extrem, das ebenfalls nicht von Dauer bleiben darf, wenn nicht die ewigguten, nachgiebigen Eltern die Sklaven ihrer Kinder sein sollen und Fräulein Tochter nicht vorschreiben soll, wie sich die seelengute Mama ihr vis-a-vis zu verhalten habe. Wir können unsre Abhandlung, deren Thema wir einestheils in Hinsicht auf dessen Reichhaltigkeit und die uns zu Gebote ste­henden Erfahrungen, andertheils aber in Hinsicht des uns zuge­messenen Raumes, zu erschöpfen ohnedies nicht in der Lage sind, nicht schliessen, bevor wir nicht noch des Fehlers oder vielmehr der Untugend gedenken, die bei Klein und Gross, gleichviel ohne Unterschied des Geschlechtes, Alters und Standes am meisten ver­breitet ist; das ist: die Lügenhaftigkeit. Die Mehrheit aller Lügen basirt darauf, dass man hofft, durch sie ein Uebel abzuwenden oder ein Gut, einen Vortheil zu erlangen. Anderen Ursachen der Lüge sind: Freundschaft, Mensel mliebe, Ge­fälligkeit,-Mit1 eiden. Wieder andere lügen aus Wideistreben, aus Opposition oder aus Verheimlichungstrieb, der Andern etwas ver­bergen will; etliche wieder rein aus Gewohnheit u. endlich — verhält- nissmässig nur die wenigsten — sagen die Unwahrheit aus dem unlautersten Motive: aus Bosheit, um andern geflissentlich zu schaden. Und warum dies alles? Daher weil die meisten Menschen glauben, dass das Lügen erlaubt sei, wenn damit jemandem genützt wird u. niemanden daraus ein Schaden erwächst. Das ist jedoch ein höchst gefährlicher Grundsatz, zumal niemand im vorhinein mit Bestimmt­heit sagen kann, was aus einer Lüge entspringt, niemand die Fol­gen kennt u. in den meisten Fällen das durch die Lüge zu erreichen gehoffte Gute verschwindend gering ist im Vergleiche zu dem Scha­den, den sie stiftet, wenn sie auch noch so harmlos erscheint. Denn

Next

/
Oldalképek
Tartalom