Evangélikus Elemi Iskola, Budapest, 1886
15 wo ist die Grenze ? Aus Lüge wird Heuchelei u. Gleissnerei, Schmeichelei u. Täuschung, Verstellung u. Falschheit u. Betrug. Damn müssen die Eltern ihre Kinder mit der grössten Sorgfalt behüten vor jeder Verletzung der Wahrheit. Die Wahrheit muss gesagt werden unter allen Umständen; eine Lüge darf unter keiner Bedin gung gesprochen werden. An diesem Grundsätze wurde festgehalten: es mag daraus entstehen u. kommen, was da will! Wie ist das aber bei den Kindern zu erreichen ? 1. Betrachte den Kindern gegenüber die Wahrhaftigkeit als etwas durchaus Selbstverständliches, die Lüge als etwas ganz Undenkbares. Pis tliut gar nichts, wenn das Kind dadurch auch zu leichtgläubig wird u. alle Leute für ehrlich hält u. in Folge dessen hie u. da auch getäuscht wird; die Erfahrung u. das Leben bringt sie schon nach u. nach von selbst auf den richtigen Standpunkt. Setze es nicht voraus, dass dein Kind dich vorsätzlich belogen habe; siehe darauf, dass sie nicht faseln u. nichts hinzuthun, wenn sie dir irgend eine erlebte Begebenheit erzählen; fordere die wortgetreue Besorgung, die unentstellte Wiedergabe des gegebenen Auftrages; äussern dein Erstaunen über die kleinste Abweichung von der vollen Wahrheit; berichtige das Falsche u. erläutere ihm die Nothwendigkeit, wahrhaftig zu sein an Beispielen, — aber alles ohne Eifer u. Zorn, alles in Liebe u. Güte; nur so wird deinem Kinde das Lügen zu einer moralischen Unmöglichkeit werden. 2. Gieb den Kinder nicht selbst das Beispiel der Lügenhaftigkeit weder aus Scherz, noch aus Höflichkeit, noch aus Noth. Versprich nicht, wenn du schon im Voraus weist, dass du das Versprochene nicht halten wirst; wolle das Kind nicht zu etwas Guten dadurch aneifern, dass du ihm Dinge vorführst, die nur in der Phantasie existieren; es sehe nie, wie du dich bei einem unlieben Besuche verstellst u. Mienen der Freude machst; hinterher aber aus vollem Munde über die Belästigung losziehst; lass dich nicht verläugnen, wenn du gerne ungestört bleiben möchtest u. so giebt es hundert u. hundert unschuldig erscheinende Dinge, die man alle schon bloss das guten Beispieles halber sorgfältig vermeiden sollte. 3. Veranlasse die Kinder nicht selbst zum Lügen, indem du sie z. B. anleitest, dem Lehrer zu sagen, das die Schule wegen Unwolüsein versäumt werden musste, während du doch mit dem Kinde bei der Tante zu Besuche warst; — oder indem du sie strenge bestrafst, wenn sie offenherzig gestehen, die Lektion in der Saliule nicht gekannt zu haben; oder indem du überall Unwahrheit und Betrug witterst , und durch ein peinliches Inquiriren mit Kreuz- und Querfragen das Kind mit sich selbst in Widerspruch zu bringen suchst, und Mistrauen in seine Worte setzt. Ein edles Gemüt wird dadurch eben am tiefsten gekränkt, das man es für schlechter hält, denn es ist. Schliesslich veranlasse das Kind nicht dadurch zum Lügen, dass du sie zum Sprechen zwingst, wenn sie die Wahrheit nicht über die Lippen bringen können. Wie viele Eltern kennen bei dem Kinde kein grösseres Vergehen, als das Zerbrechen