Evangélikus Elemi Iskola, Budapest, 1883
10 ten begegnet, so ist es dringend geraten, die ganze Gattung derartiger Sammlungen a priori von der Auswahl auszuschliessen. Von einem Kinde, das sich das Lesen kaum angeeignet hat, kann man natürlich nicht verlangen, dass es die einfachsten Vers- lein oder Lesestücke mit Verständniss selbst lese, da wie Prof. Dr. Braubach sagt: „Die eigene Freude des Kindes am Lesen im Anfang e nicht die Freude an dem Inhalte des Lesestückes ist, sondern an dem Können und Fortschreiten, an der Uebung der Kraft und ihrer Resultate. Das Kind freut sicli nicht weniger darüber ein Wort lesen, als darüber, ein Gräbenchen überspringen zu können!“ Sobald jedoch das Kind in seinem siebenten oder achten Jahre im Lesen schon so weit fortgeschritten ist, dass es auch versteht, was es liest und somit Interesse am Lesen gewinnt, tritt nun die wichtige Frage an die Eltern heran: Sollen sie überhaupt und wenn ja! — was? ihren Lieblingen zu lesen geben, damit das Lesen dem Kinde genussreich, sachlich lehrreich und bildend für Herz, Ge- miith und Charakter sei. Es wird dem selbständigen Lesen der Kinder von verschiedenen Seiten ein verschiedener Wert beigelegt. Einzelne hervorragende Pädagogen haben sicli sogar entschieden gegen jede Unterhaltungslektüre der Kinder ausgesprochen. Grösseren Schülern und Schülerinen dürfte man wohl un .ter allen Umständen das Lesen für sich und innerhalb gewisser Beschränkungen gestatten, zumal sie ja dem Eintritte in das öffentliche Leben schon ziemlich nahe stehen und deshalb zur selbständigen Lektüre, die ja später das Hauptmittel zu ihrer weitern Belehrung ist,' geradezu angehalten und angeleitet werden sollten. Ob aber auch kleineren Knaben und Mädchen das Lesen zuträglich ist, hängt sehr von der Eigenthüni- lichkeit des Kindes ab. Zu vieles Lesen ist gewiss nicht zu empfehlen ; schwächliche Kinder sollen namentlich über dem Lesen, wozu sie in der Regel Neigung haben, nicht ihr bewegliches Spiel versäumen. Aber selbst dem siebenjährigen Kinde, das eben erst lesen gelernt hat, möchten wTir nicht gern sein hübsches Bilder- oder Geschichten-Buch entzogen wissen. Es macht ihm Freude und das stille Lesen ist für ihm auch sicherlich ein nicht zu unterschätzendes Bildungsmittel. Natürlich müssen die Eltern prüfend, nachhelfend und belehrend ein treten und werden auch — wenn sie die Individualität des Kindes kennen — das rechte Mass für die Arbeit, das Lesen und die Spiel-