Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1872

30 aller Lebens- und Reisebedürfniße auf einen Tag für den König oder Woiwoden und sein ganzes Gefolge. Doch haben die Sachsen gar oft die Forderung des Freibriefes aus eigenem Antrieb überschritten und die Könige stets so em­pfangen, wie es ihrer und der Fürsten Ehre ziemte. Diese Bedeutung und diese Tragweite hat das goldene Privilegium mit seinen Rechten und Pflichten für das Sachsenvolk. Es ist die Grundverfaßung gewesen, unter deren Schutz die Sachsen den Zweck ihrer Einberufung: „zur Erhaltung der Krone" erfüllen konnten, es war der goldene Boden, auf dem sie ihr Gemeinwesen nach alter Gewohnheit in Freiheit und deutscher Art auf- bauten. Und wenn die Brüder im deutschen Mutterlande heute noch rühmend erwähnen, daß ihre Stammesgenossen im fernen Siebenbürgen durch der Zeiten Sturm in Mitte ftemder Völker sich die Freiheit und das Deutschthum bewahrt haben, so können wir ihnen mit dem Gefühle ftoher Dankbarkeit bekennen, daß es der ungarische König Andreas II. war, der den kleinen Körper der sächsischen Nation mit einem ehernen Panzer, mit seinem goldenen Privilegium, waffnete. Im brausenden Strome der Jahrhunderte war dieses ihre Kraft im Innern, ihr Schutz nach Außen; es half ihnen bürgerlichen Wohlstand und menschliche Bildung erringen. Den großen Werth dieses Kleinodes erkennend und schätzend, sind aber auch die Besten der Sachsensöhne mit Gut und Blut stets eingestanden, wenn es galt, die Rechte, die ihnen Andreas verbriefte, zu schirmen und zu ver- theidigen. Jeder Angriff auf ihr Volksthum einigt auch heute noch die im Wechsel der eigennützigen Zeit gleichgültig gewordenen Brüder, so daß sie der Eintracht Gebot erkennend, den kleinen Hader vergessen, sich die Hand zur Versöhnung reichen und den ernsten Schwur sich zurufen: „W ir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, In keiner Noth uns trennen, noch Gefahr." . 6. Andreas II. als Herrscher Seit dem Gründer der ungarischen Monarchie erfreute sich kein König einer so langen Regierung als Andreas II. Diese äußere Uebereinstimmung der beiden Herrscher erstreckte sich aber nicht auf ihren Charakter. Während Stephan I, ein Selbstherrscher in der schönsten Bedeutung des Wortes, durch weise und strenge Ordnung den neu gebildeten Staat zu kräftigen suchte, war Andreas, durch Ehrgeiz und Unselbstständigkeit verhindert, nicht im Stande, dem Reiche die innere Ruhe zu geben, die allein das Ansehen der Krone und die Macht des Reiches zu begründen geeignet ist. Noch vor dem Antritte seiner Regierung gerieth er, von Herrschsucht geleitet, in eine bedeutende Abhängigkeit von den mächtigen Großen, die ihm bei dem Ringen nach der Krone behülflich waren; und endlich auf den Thron gelangt, vermochte seine Charakterschwäche die verlorne Selbstständigkeit nicht wieder zu gewinnen. Seiner ehrgeizigen Gattin und herrschsüchtigen Günstlingen ergeben, war er unfähig, den Uebermuth und die Willkühr des mächtigen Adels niederzuhalten, dessen fernere Unterstützung

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