Evangelischen gymnasiums, Bistritz, 1863

Vorwort Haitis der kostbarsten literarischen Vermächtnisse des griechischen Alter­thums besitzen mir an den sieben noch vorhandenen Trauerspielen des So­phokles. Den reichen Schatz der Weisheit, der in diesen erhabenen Dichter­werken verborgen liegt, durch angemessene Verdeutschungen zu erschließen und auch für unsere Nation zugänglich und genießbar zu machen, war gewiß von jeher eine heilige Pflicht berufener Sprachkenner. Obwohl es nun aber aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, durch Uebersetzun- gen aus einer ftemden und dazu noch antiken Sprache den Sinn und Geist des Urtextes ganz getreu wieder zu geben und ohne langweilige Brei­te vollständig zu erschöpfen, so muß man denn doch als eine der Haupt­bedingungen einer guten Uebersetzung mit größerem Nachdruck, als es bis­her geschehen ist, die festhalten, daß man daneben so viel als möglich auch dem Geiste und eigenthümlichen Wesen derjenigen Sprache, in die man übersetzt, Rechnung trage und der freiem Entfaltung ihrer Kräfte und Mittel den nöthigen Spielraum gewähre. Dies ist aber nicht der Fall, so lange man bei der Uebertragung der altklassischen Dichtungen ins Deutsche an dem ererbten Vorurtheil hängt, als müßte man die metrischen For­men des Originals auch da noch beibehalten, wo sie der Uebersetzungs- sprache völlig fremd und daher für den Leser solcher sklavischer Ueberseß- ungen durchaus ungenießbar sind. Wie oft schon hörte ich von Laien und Nichtlaien diesen Tadel über viele der herkömmlichen nach dem Versmaß der Urschrift angelegten Uebersetzungen aussprechen und den Stab über sie brechen! Besonders aber leiden an diesem Mangel der Undeutschheit und Ungenießbarkeit die nach diesem Prinzip übersetzten Cborliederdergriechi- schen Dramen. Wie trefflich z. B. die Donner'sche Uebersetzung des So­phokles auch sein mag, das wird mir sicherlich Niemand in Abrede stellen, daß die Chorlieder, unter Anderem gegen die Schiller'schcn Originalchöre in seiner Braut von Messina gehalten, in Bezug auf sprachliche Darstellung wie die Nacht zum Tage sich verhalten. Und doch, welche Fülle, welch Kraft, welche Schönheiten, welche Weisheitsströme treten dem Kenner der griechischen Sprache aus jenem alten und doch ewig jung und frisch spru­

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