Evangelischen gymnasiums, Bistritz, 1862
11 gend gemacht werden, als sie es wirklich sind, so mußte ein neues Prinzip sich Geltung verschaffen, welches ihnen im Systeme-der Wissenschaften eine selbstständige Stellung verschaffen mußte. Und es ist das große Verdienst des Humanismus, wie ihn kurz vor der Reformation Italien sah, dieses Prinzip erkannt und zur Geltung gebracht zu haben. Diese Humanisten studiren die Sprachen nicht mehr, um sie zum Deckmantel ihrer Wissenschaftlichkeit zu machen, sondern sie beschäftigen sich mit ihnen um ihrer selbst willen. Sie sind ihnen nicht mehr bloß Mittel sondern sie werden ihnen Zweck. Mit alles aufopfernder Hingebung empfangen sie die neue Bildung aus dem Munde der,- durch die Türken vertriebenen griechischen Gelehrten, welche ihnen die Originalwerke der klassischen Zeit überbringen und mit außerordentlich tiefer, bis dahin nie gekannter Gelehrsamkeit das Verständniß derselben öffnen. Aber in ihrem eifrigen Bestreben, diesen klassischen Werken überall Eingang zu verschaffen und ihre reichen Schätze der Bildung zu Tage zu fördern und zu ihrem Eigenthum zu machen, vergessen sie die damals bestehenden Verhältnisse. Sie leben sich in die alten klassischen Zeiten so tief hinein, daß sie das Christenthum selbst nur dann am richtigsten zu verstehen meinen, wenn sie dasselbe in ein modernes Heidenthum verwandeln. Diese Leute machen den erhabenen Christengott in ihrem Jagen nach echt klassischen Ausdrücken zum Juppiter optimus maximus und Christum, den Sohn des höchsten Gottes, nennen sie Minervám e Jovis capite ortam; der heilige Geist wird zur Aura Zephyri coelestis; die Sündenvergebung zum Deos superosque manesque pla- care. Und solche Ansichten gelten nicht nur unter den Gelehrten in den Schulen, sie gelten auch in der nächsten Nähe des heiligen Stuhles. Man sieht, die Lage der Dinge ist eine andere, das frühere Ver- haltniß ein umgekehrtes geworden. Waren die klassischen Werke früher der untergebene Diener der Theologie gewesen, so beherrschen sie jetzt dieselbe so sehr, daß auch kein Schatten der ftüheren Herrschaft derselben zu erkennen ist. Alles strebt nur nach einem Ziele: ein echter Ciceronianer genannt zu werden. Und der Heerd, wo diese Studien am meisten gehegt und gepflegt wurden, die Hauptwerkstätte, aus welcher die Meister des ciceronianischen Ausdruckes hervorgingen, war Italien. Hier vergißt man über dem Jagen nach jenem Ziele, nach der äußerlichen Ehre, auf die Basis, woher allein jene Bestrebungen die schönsten Früchte ttagen können. Die Volksbildung und die Anstalten, woher diese ausgeht, die Schulen' werden vernachlässigt. Anders in Deutschland. Hieher waren die humanisttschen Studien