Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)

Zsuzsa Frisnyák: Städtischer Verkehr

117 Die Charakteristiken des Fahrzeugsgebrauchs Aus der Tagespresse können wir uns über den alltäglichen Umgang der Stadtbewohner mit den technischen Umwälzungen, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, also in einem außerordentlich kurzen Zeitraum, eintraten, ein Bild machen. Welche Verhaltensformen waren es, die in den Zeitungen am häufigsten auftauchen? Klagende, kritische und begeisterte, anregende Stellungnahmen können beobachtet werden. In jedem Fahrzeug waren Menschen verschiedener gesellschaftlicher Herkunft zusammengepfercht, die auf verschiedene Weise sozialisiert wurden. Ungeduld, Drängelei, Unhöflichkeit und Informationsdefizite waren Folgeerscheinungen der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Die Mehrzahl der Menschen hatte die ungeschriebenen Regeln des Verkehrsmittelgebrauchs noch nicht erlernt, z.B., dass sich bei den Türen der Fahrzeuge nur diejenigen aufhalten sollten, die bei der nächsten Haltestelle aussteigen wollen. (1903 wurden in den Straßenbahnkutschen die Stehplätze zur Verbesserung der Bequemlichkeit der Fahrgäste abgeschafft.) Die Passagiere betrachteten die Aufsichtsbeamten generell mit Abneigung, sie hielten es für Schikane, dass für die Überprüfung eines 20-Groschen-Fahrscheins sich sogar drei Kontrolleure hineindrängten. Die Provinzbewohner klagen: Sie hätten von dem Lärm der Stadt (Glockenklang, Wagengerassel) Kopfschmerzen und könnten nicht schlafen. Andere schwärmten davon, wie leicht es sei, auf den asphaltierten Gehsteigen von Pest zu spazieren. Aber zumeist beschwerte sich das Reisepublikum über die „Erpressungen“ der Lohnkutscher: Schlampige Kleidung, dreckige Fuhren, schamlos überschrittene Tarife, Grobheiten, Absage von Fuhren, usw. kommen in den Beschwerden vor. Das ambivalente Gefühlsverhältnis der Menschen gegenüber dem Stadtverkehr erscheint am plastischsten in Darstellungen, in denen die Fahrzeuge mit einem eigenen Willen ausgestattet begegnen, unabhängig vom Menschen. Im Licht unserer zeitgenössischen Erfahrungen erscheinen die Meinungen eher amüsant als begründet, die in Pest „das Allerlei mörderischer Fiaker, enragierter Omnibusse, von grausamen Krämpfen geplagter Inkomfortabel, blinder Frachtwagen, herumreißender Hundegespanne, tobsüchtiger Handkarren, verrückter Aschenkarren, und nur Gott weiß, welcher Art von Fahrzeugen noch“ sehen und sich über das Gesäuse, das „Waten übereinander“ beschweren.1 Hinter diesen Ausbrüchen steht nicht das Verhalten des Menschen, der die technische Entwicklung zurückweist, sondern die Unzufriedenheit angesichts der Unübersichtlichkeit der nicht abgestimmten, chaotischen Fortbewegungsformen und die Empfindung von Gefahren seitens der Fußgänger.1 2 1 Lajos HEVESI, Király utcája [Die Straße des Königs], n Karcképek az ország városából. Budapest 1876, 68. 2 Die Stadt versuchte, Statuten für die Harmonisierung des Fahrzeug- und Fußgänger­verkehrs auszuarbeiten.

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