Szilágyi András (szerk.): Ars Decorativa 25. (Budapest, 2007)
Ágnes PRÉKOPA: Die Anfänge der Disziplin Geschichte des Kunstgewerbes und die Geschmacksbildung
hingewiesen, daß Jahre zuvor die Grundidee - Erziehung mittels Abschreckung durch Geschmacklosigkeiten - in Ungarn von Kálmán Györgyi (1860-1930), Direktor der Ungarischen Kunstgewerbegesellschaft und Redakteur der Zeitschrift Magyar Iparművészet und dem Nationalökonomen und Gewerbehistoriker Mór Gelléri (1845-1915) in der Gesellschaft für Kunstgewerbe aufgeworfen worden, aber vom Vorstand zurückgewiesen worden war.18 Ebenfalls 1909 berichtete Mór Gelléri in der Tageszeitung Magyar Hírlap über die Stuttgarter Ausstellung und erwähnte, daß sie mit Kálmán Györgyi ein Jahrzehnt zuvor überlegten, daß 100-200 Gegenstände aus dem Angebot von 10-20 Geschäften zu einer Ausstellung negativer Beispiele genügen würden. „Unser Publikum [...] wird es sich merken, wenn wir ihm beibringen, was sich nicht schickt, ohne ihm besonders einzuprägen, was es sich schickt.“19 Nach seiner Meinung hat Pazaurek den Einfall von Györgyi sicherlich nicht gekannt, aber die erfolgreiche Stuttgarter Ausstellung, die gewiß vielerorts nachgeahmt werden würde, bedeute nachträglich eine große Genugtuung für ihn. In beiden Artikeln kommt das Bedauern darüber zum Ausdruck, daß Ungarn in einem solchen bahnbrechenden Versuch nicht das erste sein konnte. Die Erwartungen von Mór Gelléri sind leider nicht in Erfüllung gegangen: Die Methode Pazaureks fand leider keine Nachfolger, im Lauf der Jahre, der Jahrzehnte geriet sie sogar in Vergessenheit.20 Geschmackserziehung zur Unterstützung der Orientierung in der Welt der Visualität wäre in unseren Tagen nötiger als je zuvor; das System der Gesichtspunkte der Analyse aufgrund von Beispielen eines historischen Materials hat zahlreiche Probleme definiert, die im Jahrhundert seit Erscheinen des Buches vielleicht keine Beachtung fänden, obwohl der Gebrauch der Kategorien, die vom Autor mit scharfem Blick und außerordentlichen Materialkenntnissen aufgestellt worden waren, auch heute begründet erscheint. Zweifelsohne bedarf ein Teil der Bestimmung der im Buch aufgezählten Stücke im Lichte späterer Forschungen der Präzisierung, aber diesem Problem könnte mit Annotationen und einem Nachwort abgeholfen werden, und die Interessenten des 21. Jahrhunderts könnten mit einer Neuausgabe ein lückenfüllendes Werk in Besitz nehmen. Das Buch Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe könnte für die Forscher der Erzeugnisse des Kunstgewerbes eine wichtige Referenzarbeit sein, die sich auch im Unterricht der Objektkultur verwenden ließe; teils wegen der epochenübergreifenden Methodik, teils weil zur Darstellung von Stilepochen neben den Hauptwerken auch die typischen Fehler der Meister der Zeit sehr anschaulich beitragen können. Mit vorliegendem Aufsatz haben wir uns unter anderem das Ziel gesetzt, die Aufmerksamkeit auf Pazaureks unverdientermaßen vergessene Arbeit hinzulenken; auf ein Werk, das in Ungarn in der Erforschung der Geschichte des Kunstgewerbes praktisch kein Echo hervorrief, und dem auch die deutsche Fachliteratur nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hat. Für die Zukunft scheint sich allerdings eine Wende anzubahnen, denn Wikipedia bietet unter den Quellentexten die dritte Auflage des Führers der Stuttgarter Ausstellung (1919) unter dem Titel Geschmacksverirrungen im Kunstgewerbe an, sodaß die Gesichtspunkte der Analysen Pazaureks, wenigstens in einer kurzen Zusammenfassung, nunmehr für jedermann zugänglich sind.21 154