Szilágyi András (szerk.): Ars Decorativa 24. (Budapest, 2006)
Melinda AL-RAVI-KŐVÁRI: Ein koptisches Textilfragment mit der Verkündigungsszene im Kunstgewerbemuseum Budapest und seine Stelle im Kreis der christologischen Zyklen
MELINDA AL-RAWI-KŐVÁRI EIN KOPTISCHES TEXTILFRAGMENT MIT DER VERKUNDIGUNGSSZENE IM KUNSTGEWERBEMUSEUM IN BUDAPEST UND SEINE STELLE IM KREIS DER CHRISTOLOGISCHEN ZYKLEN Herrn Professor Rainer Stichel gewidmet 1. Die schriftlichen Quellen der Ikonographie der Verkündigung 1 Die Szene der Mariae Verkündigung ist ein Teil der christologischen und mariologischen narrativen Darstellungen in der koptischen und byzantinischen Kunst. Die Szene kommt in unterschiedlichen Kunstarten vor: auf Textilien (Clavi, Orbiculi, Tabulae etc.). Pilgerampullen, Armbändern, Ringen, Gemmen, Kameen, Werken aus Elfenbein und Holz, Kreuzreliquien usw., sowie als Teil der Freskenzyklen in Kirchen. Die Szene wird als Einzelszene und auch als Teil eines Zyklus dargestellt. Es gibt jedoch keine koptischen Primärquellen für diese Darstellungen. 2 Die Schilderung des Marienlebens, darunter auch die Verkündigung Mariae, kommt in verschiedenen literarischen Belegen, nicht nur in den apokryphen Evangelien, sondern auch in Homilien, Enkomien, Briefen usw., häufig vor. Der Bericht des Lukasevangeliums ( 1.26-38) geht auf ältere Überlieferungen zurück. Sowohl die Botschaft Gottes an Zacharias als auch die Verkündigung Mariae sind nach dem Modell alttestamentlicher Verkündigungen aufgebaut.' Sehr nahe steht ihnen die Erscheinung des Engels vor Gideon (Ri 6), vor Abraham (Gen 17, Dublette Gen 18), vor Moses (Ex 3-4) oder vor den Eltern Simsons (Ri 13). In jeder dieser Geschichten kehren folgende Elemente wieder: die Erscheinung Gottes oder eines Engels, die Furcht des Menschen, die himmlische Botschaft, der Widerstand seitens des Empfängers und die Bestätigung der Botschaft durch ein Zeichen. Die Ähnlichkeit der Elemente erlaubt, den Bericht des Lukas in die alttestamentliche Tradition zu stellen. Der Text des Neuen Testaments ist ein Ausgangspunkt für die späteren christlichen Schriftsteller. In der Ikonographie hingegen erhalten die Apokryphen eine wesentlich größere Rolle als der Bericht des Neuen Testaments. Das Protevangelium des Jakobus erzählt die Geschichte der Verkündigung Mariae, in der folgende, für die Ikonographie wichtige Elemente vorkommen: das Wasserschöpfen am Brunnen, die Stimme des Engels, Purpurspinnen, Zweifel Marias, Gespräch Marias mit dem Engel. 4 Das Pseudoevangelium des Matthäus hat zwei Elemente: Maria schöpft Wasser aus dem Brunnen und sie ist am Purpurspinnen. 5 Im „Leben Johannes des Täufers" wird die Szene im 2. Kapitel beschrieben." Im Text der „Himmelfahrt des Jesaja", in dem der Prophet unter Führung des Engels die sieben Himmel durchschreitet, zeigt sich der Engel Maria und Joseph. 7 Im Buch „Von der Geburt Marias", ein Auszug aus dem Pseudoevangelium des Matthäus, und vom Protevangelium des Jakobus abhängig, 8 zeichnet sich eine charakteristische Marienfrömmigkeit ab. 9 Die „Einsetzung des Erzengel Gabriel" enthält ebenfalls die Verkündigungsszene." 1 Des Weiteren gibt es noch viele Homilien, in denen auf die Verkündigung Mariae Bezug genommen wird." Die aus der Erzählung ausgewählten Bildszenen des Marienlebens stehen entweder gesondert nebeneinander oder bilden zusammenhängende Zyklen. So erscheint z. B. die Verkündigungsszene auf den Kunstdenkmälern sowohl als Einzelszene wie auch als Bestandteil einer Bildfolge. Die schriftlichen und litera-