Szilágyi András (szerk.): Ars Decorativa 19. (Budapest, 2000)
András SZILÁGYI: Aus dem Hradschin in Prag in die Burg von Forchtenstein. Über die Herkunft eines hervorragenden Prunkstückes der Esterházy-Sammlung
zum Anfang unseres Jahrhunderts war in der rechten Hand der Prudentia-Figur gewiss nicht ein lehrer Spiegelrahmen, wie jetzt, sondern ein minuziös geformter „wahrer" Handspiegel (vielleicht mit einem geschliffenen, eingefassten Bergkristall-Plattchen). Das Gewicht der fehlenden Teile — zu diesen letzteren gehören noch gewisse Details des anderen Attributs der Prudentia, nämlich der „Oberkörper" und das Haupt der Schlange — können wir natürlich nur vermuten, es ist aber wahrscheinlich, dass es nicht vernachlässigt sein sollte. Wir müssen noch darauf hinweisen, dass die im Rebelleninventar bezeichnete 15 Mark möglicherweise als ein abgerundeter Gewichtswert sich ergab. Vorausgesetzt, dass es tatsächlich der Fall ist, wissen wir natürlich nicht — und werden wir nie wissen —, ob es sich um ein „aufwärts" oder ein „abwärts" gerichtetes Abrunden handelt. Die erste der beiden Möglichkeiten ist jedenfalls nicht ausgeschlossen. All diese Erwägungen zusammenfassend können wir mit guter Überzeugung äussern, dass es erlaubt zu sein scheint, die folgende Annahme zu formulieren: Das erwähnte Zitat des Rcbelleninventars - das schon „an und für sich" eine besondere Aufmerksamkeit verdient — kann sich auf einen, zur Zeit existierenden Gegenstand, und zwar auf den Budapester Pokal von Hans Petzolt beziehen. Diese Hypothese wird durch vielsagende historische Angaben untermauert. Und zwar durch solche, miteinander übereinstimmende Angaben, die auch auf weitere Ereignisse ein Licht werfen. Auf das Ereignis (bzw. auf dessen Folgen), das zweifelsohne einen Wendepunkt in der Geschichte jenes Kunstwerkes bedeutet, das 1619 in Prag verzeichnet worden war. Dieses Begebnis fand im Rittersaal der Prager Burg, am 31. März 1620 statt. An diesem Tag wurde nämlich die Taufe des jüngst geborenen Kronprinzen Robert, des Sohnes des böhmischen Gegenkönigs, Friedrichs (in der historischen Fachliteratur eher als Friedrich V von der Pfalz genannt), festlich begangen. Dem diplomatischen Brauch der Zeit entsprechend beschenkten einander die Eltern und die Taufpaten gegenseitig. Einer der aus diesem Anlass ihre Besitzer wechselnden Kunstgegenstände war gerade jener Prunkpokal, der von Roberts Mutter und Friedrichs Gemahlin, Elisabeth (1597-1636) aus dem Hause Stuart (Tochter des englischen Königs Jakobs I.) ausgewählt worden war und an die nicht anwesende Taufpatin, die junge Krisztina Nyáry (1604-1641) geschickt wurde. Das persönliche Geschenk der Königin wurde von Krisztinas Gatten, Graf Imre Thurzó ( 1589-1621 ) — derzeit Gábor Bethlens Gesandter in Prag und Roberts Taufpate - entgegengenommen und nach Ungarn gebracht. Drei Jahre nach dem allzu frühen, plötzlichen Tod ihres ersten Ehegatten wurde Krisztina Nyáry die Gemahlin des zukünftigen ungarischen Palatins, Miklós Esterházy (1583-1645). Dieser Umstand, sowie andere bekannte Ereignisse der Familiengeschichte liefern eine Erklärung dafür, wie diese Goldschmiedearbeit Mitte des 17. Jahrhunderts aus der Burg Árva, dem alten Adelssitz der Thurzós, in den Besitz der Esterházys, bzw. in die Schatzkammer deren Forchtensteiner Burg gelangt war 9 . Angesichts der Tatsache, dass uns über die Geschichte des Wechsels der Besitzer unmissverständliche Angaben zur Verfügung stehen, die in betreff der Beschreibung mit der Zeit zunehmend ausführlicher und ins Detail gehender werden, führt dieser Umstand zum Resultat, dass die Provenienz unseres Kunstwerkes über jeden Zweifel erhaben ist. 10 Daher lässt sich also feststellen, dass der Muschelpokal im Jahr 1620 (genauso übrigens wie im späteren, ganz bis in unsere Tage hinein) denselben Weg — auch in konkretem, also geographischem Sinne des Wortes - „durchgelaufen" hat, wie eine andere Arbeit Petzolts, eines seiner Haupt-