O. Gy. Dely szerk.: Vertebrata Hungarica 23. (Budapest, 1989)
Stohl, G.: Gedanken über die ersten Phasen der Domestikation von Huftieren (Mammalia, Ungulata) 73-79. o.
war die Individuenzahl der unter menschlicher Obhut stehenden Herden noch gross genug dazu, dass auch bei einer etwaigen Partnerwahl die nächstfolgende Generation ohne Schwierigkeiten hervorgebracht werden konnte. Man könnte sich nun fragen: sind wir nicht im Besitze von objektiven Funden, die die oben dargelegten Annahmen bestätigen könnten? Nun, die sog. franko-kantabrischen Höhlenmalereien, vor allem jene von Lascaux usw., falls sie realistisch und nicht unter bestimmten Vorurteilen bewertet werden, liefern einen unbestreitbaren Beweis dafür, dass Rinder und Pferde in diesem Gebiete Europas schon in der Zeitspanne von 18 000 bis 12 000 v.u. Z. (Solutréen) dem heutigen Rentier ähnlich im halbdomestizierten Zustande gehalten wurden. Wäre das Fortpflanzungssystem dieser Huftiere vom Menschen - wenn auch in sehr, sehr beschränktem Masse - nicht gestört, mit anderen Worten, wären die unter natürlichen Lebensbedingungen lebenden Wildtiere nicht zu einer gewissen Inzucht gezwungen gewesen, die durch eine etwaige Verhinderung der grossen Wanderungen und die Unterbrechung einer weitreichenden Panmixie verursacht wurde, so wären keine jener Domestikationsmerkmale sowohl bei Rindern als auch Pferden aufgetreten, von welchen diese Höhlenmalereien unbestreitbar zeugen. Schon die Archäologin Annette LAMING (1962), die hervorragende Dienste bei der Aufschliessung der Höhle Lascaux leistete, wies auf die unerwartete und bei einer Wildart nur schwer deutbare Formenmannigfaltigkeit der Hörner und Hufe der Rinderabbildungen hin. Genannte Autorin, die auch das Skelettmaterial der abgebildeten Huftiere studierte, betonte, dass unter den Pferde Schädeln neben denen des typischen Przewalski-Pferdes auch der des Tarpan vorhanden ist. ANGHI (1974), der fast alle franko-kantabrischen Höhlen persönlich untersuchte, kam zu dem Schluss, dass es unter den in Lascaux abgebildeten Rindern, die er noch als Ure dentete, auch die Urformen des westeuropäischen Niederungsviehes gab. Trotzdem versuchte er, seinen Standpunkt über einen viel früheren Beginn der Domestikation des Rindes mit äthiopischen Felsabbildungen zu bekräftigen. Diese angeblich 20 000 Jahre alten Felsabbildungen zeigen Rinder von Primigenius-Typ, die viel grössere Hörner als die Ure tragen, ausserdem haben ihre Kühe kräftig entwickelte Euter. (ANGHI berief sich auf zwei äthiopische Fachleute: den Archäologen FESSEHA und den Jagdbiologen SHIMELIS YIRGON.) Im Zusammenhang mit den Deutungsmöglichkeiten soll auf folgende Tatsachen hingewiesen werden. Es unterliegt ja keinem Zweifel, dass die erwähnten Abbildungen im höchsten Grade lebenstreu sind, und zwar sowohl hinsichtlich der Formen - einbegriffen auch die Gestalt und den Körperbau der Tiere - als auch der Farben der abgebildeten Lebewesen. Dies wird vor allem durch jene Abbildungen bestätigt, die Wisente oder Nashörner darstellen. Falls diese Tiere lebenstreu abgebildet worden sind, scheint es völlig unbegründet zu sein, diesen Umstand gerade bei jenen Tierarten in Frage zu stellen, von welchen ähnliche Merkmale (Hornform, Farbe, Körperbau usw.) tragende Exemplare auch heute vor unseren Augen leben! Die aus dem Paläolithikum stammenden Steingravierungen von Rindern, wie z.B. jene aus dem belgischen Fundort Trou de Chaleux, stellen zweifellos Ure dar. Sowohl ihr Körperbau als auch ihre Hornform entsprichen jenen des Ures. Sie werden durch eine weitgehende Einförmigkeit ausgezeichnet. Demgegenüber sind die auf den Höhlenwänden von Lascaux abgebildeten Rinder sozusagen alle von verschiedenen Körperbau, Farbe und Hornform. Die auf der linken Felswand der "Grossen Halle der Stiere" abgebildeten zwei grossen Stiere besitzen eine weisse (hellgraue) Grundfarbe mit verstreuten schwarzen Flecken, die bei dem einen Stier nur in der Gesichtsgegend, bei dem anderen aber auf einem grossen Teil des Körpers vorhanden sind. Hörner sind denen der Steppenrinder ähnlich. Der in der "Galerie der Malereien" abgebildete kräftig gebaute schwarze Stier besitzt aber kurze, vorwärts gerichtete Hörner. Die Variabilität der abgebildeten Kühe scheint noch grösser zu sein als jene der Stiere. In der "Grossen Halle der Stiere" nimmt die unter dem Namen "Die Grosse Schwarze Kuh" bekannt gewordene Abbildung eine hervorragende Stellung ein. Diese Kuh besitzt einen kleinen Kopf mit schwungvoll gebogenen Hörnern und einen übertrieben grossen Leib. In derselben Halle ist neben dem Bauch des rechtsstehenden grossen Stieres die dunkelbraune Silhouette einer Kuh gemalt, die ihr rotes Kalb führt. Die sog. "Galerie der Malereien" in sich selbst gilt als Beweis für die ganze Vielfalt