O. Gy. Dely szerk.: Vertebrata Hungarica 23. (Budapest, 1989)

Stohl, G.: Gedanken über die ersten Phasen der Domestikation von Huftieren (Mammalia, Ungulata) 73-79. o.

die Einmischung des Menschen in das natürliche Fortpflanzungssystem der wilden Ahnen der entscheidende Faktor war. Die von Jahr zu Jahr wiederkehrende Panmixie zwischen den ein­zelnen Familienverbänden des wilden Rentieres, das Anschliessen von nichtverwandten Hir­schen an Herden weiblicher Tiere verminderte die Wahrscheinlichkeit des Zusammentref­fens von blutsverwandten Tieren praktisch auf Null. Die allgemeine Panmixie brachte zu­gleich eine Selektion der kräftigsten, d.h. der besten genotypischen Anlagen in sich tragen­den Hirsche mit sich, da diese in erster Linie an dem Zustandekommen der nächsten GeneT ration beteiligt sind. Nun, all diesen wurde ein Ende dadurch bereitet, dass der Mensch be­strebt war, die Herde, bzw. Herden auch zur Zeit der Fortpflanzung zusammen- und von wilden Tieren möglichst fernzuhalten. Auf das Selbsterhalten gerichtete Wanderungen (nach den entsprechenden Fütterungsplätzen) wurden jedoch nicht verhindert. Auch die auf die be­sten Hirsche gerichtete natürliche Selektion wurde vom Menschen - wohl möglich, nur in den letzten Jahrhunderten - ausgeschaltet. Die Hirsche werden vielerorts im zweiten Lebens­jahre kastriert. Deshalb stammt die nächstfolgende Generation von einer grossen Zahl jun­ger Hirsche ab (HERRE 1955, 1958, HERRE und ROEHRS 1971). Von einem Inzest kann selbstverständlich keine Rede sein, jedoch wurde die Fortpflanzungsdynamik der Art in die Richtung auf eine Isolation von der Ganzheit der Art verkörpernden Population sowie auf eine leichte Inzucht verschoben. Das Beispiel des Hausrens, also einer Huftierart, die in der ersten Phase der Dome­stikation stecken geblieben ist, beweist eindeutig, dass eine Unterbrechung der totalen Pan­mixie sowie eine beschränkte, aber doch bestehende Isolation das Auftreten von echten Do­mestikationsmerkmalen zur Folge hat. In Zusammenhang mit der Domestikation des Rentieres erhebt sich die Frage, ob dies ein alleinstehender Fall sei oder nicht. Vieles spricht dafür, dass von den in der Neuen Welt einheimischen Tylopoden wenigstens das eine, und zwar der Guanako dem Rentier ähnlich in den Hausstand übergeführt worden war. Wie HERRE (1958) sowie HERRE und ROEHRS (1971) nachgewiesen haben, zeichnen sich Lamas ebenso durch echte Domestikationsmerkmale aus (z.B. Gürtelscheckung) wie andere unter strenger Selektion gezüchte "hochdomestizierte" Tiere. Da Lamas auch das Verbreitungsgebiet der wilden Ahnen (des Guanako) bewohnen, können auch bei ihnen etwaige mutationssteigernde physiologisch-wirksame Faktoren ausge­schlossen sein. Gestört wurde vom Menschen auch in diesem Falle einzig und allein nur die natürliche Panmixie (vgl. HERRE 19 58). Obwohl durch Funde und Aufzeichnungen nicht zu beweisen ist, kann man sich auch die Domestikation des wilden Yaks nur auf diese Weise vorstellen. Logischerweise kann nicht daran gezweifelt werden, dass die typischen Domestikations­merkmale in allen erwähnten Fällen schon in der ersten Phase der Domestikation aufgetreten waren, und zwar infolge des gestörten Fortpflanzungssystems. Und dies ist unbestreitbar auch dann der Fall, wenn im Gegensatz zu den populationsgenetischen Deutungsmöglichkeiten die zellphysiologischen G rundlagen der Domestikationsveränderungen noch bei weitem nicht als aufgeklärt betrachtet werden können (verändertes Kern-Plasma-Verhältnis sowie Nuc­lein säure Stoffwechsel beim Haustier; MÜNK 1965a, b, STOHL 1984). Man könnte vielleicht daran denken, dass der Mensch auch andere Huftiere, und zwar in ferner Vergangenheit auf ähnliche Weise in den Hausstand überführte. Dass der Vorgang nicht in seiner ersten Phase stecken geblieben ist (wie beim Rentier), sondern mit der plan­mässigen Auswahl der Zuchttiere sowie der Überführung schon domestizierter Tiere in Ge­biete, die ausserhalb des eigentlichen Areals der wilden Vorfahren liegen - immer weiter vorgedrungen war, ändert nichts daran. Wäre es nicht logisch, daran zu denken, dass auch andere Huftiere, wie Schafe, Zie­gen, Rinder und Pferde ähnlicherweise in den Hausstand überführt worden sind? Der Mensch der Vorzeit unternahm alles - unseren Rentierzüchtern, besser gesagt Rentier-Inhabern ähn­lich - sich von "seinen" Tieren nicht trennen zu lassen. Falls die Tiere, um ausgiebigere Nahrungsplätze aufzusuchen, Wanderungen unternahmen, war der Mensch jener Partner, dessen Ortswechsel von dem tierischen Partner bestimmt wurde. Der Mensch war in einem äusserst labilen Besitze seiner lebenden Fleisch-, Leder- usw. Lieferanten, von welchen er, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, immer wieder einige Tiere ausfangen musste. Eine Vorbedingung für den ganzen Vorgang war, dass die menschlichen Eingriffe die Fortpflanzungsbereitschaft der Tiere nicht vermindern durfte. Obwohl eine unbeschränkte Panmixie mit der ganzen Population - wenn auch in bescheidenem Masse - aufgehoben wurde,

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