Bodor Ferenc: Die Pressos der Stadt - Unser Budapest (Budapest, 1992)

In einer gastronomischen Welt der Ungastlichkeit, entleert, verarmt, von Big Mac mehr und mehr diktiert und gefressen, da denken die Älteren mit Wehmut zurück an die rauchigen Espressos mit Klaviermusik und Licht aus vergilbten Seiden­lampenschirmen. Diese phänomenale Institution hat schon vor dem Krieg Einzug gehalten, in Osteuropa ist sie nur bei uns in Ungarn zu wirklicher Blüte gelangt. Neben den legen­dären und vergessenen Kaffeehäusern wurden diese Espres­sos am Ende der dreißiger Jahre gleich reihenweise eröffnet. Das Quick in der Vigadó utca war 1937 das erste, seine Einrichtung schufen namhafte Innenarchitekten und Kunst­handwerker. Heute strahlt an dieser Stelle ein kleines Büro. Dabei hat damals das herrschaftliche Nerzmantelpublikum ganz rasch diese engeren Kaffeeplätze besetzt, von denen seitdem so viele wieder geschlossen wurden. Dann kam der Krieg. Alles wurde zerschossen, kaum waren aber die ausge- branten Panzer und Autos weggeräumt, da öffneten bereits wieder die Espressos, wo immer es eben möglich war, sie füllten sich mit Kaffeetrinkern, mit Bürgern, die nach der grauenhaften Schlacht um Budapest endlich wieder erleicht­ert aufatmeten. Dann kam auch schon die radikale Linke: Kaffeetrinker hinter Schloß und Riegel! In den Arbeits­dienst! Mit solchen und ähnlichen Parolen wurden zahlreiche Pressos und Kaffeehäuser gesperrt. Die neuen Machthaber dachten, daß es nicht gut sein kann, wenn Menschen zusam­mensitzen und ins Gespräch kommen, schwatzen. Mit den Verstaatlichungen kamen monströse Gatronomiegiganten, ein volkseigenes Gemisch aus Letscho und Pörkölt. Trotzdem aber hielten die Pressos durch, hinter graurotem Mörtel ent­spannten sich Liebesbeziehungen zwischen Bürokollegen und Herzensfreundschaften zwischen einsamen Damen no­bler Herkunft. Aus den herunterhängenden Fransen der mit Glas abgedeckten Tischdecken flochten die Gäste kunstvolle Knoten unruhiger Hoffnung. Die erste Hälfte der fünfziger Jahre war für die Espressos ein Spiel auf Leben und Tod. Wir müssen einfach durchhalten, bis die befreienden Truppen von riickelsdorf her kommen. Was man im Westen den Stil der fünfziger Jahre nennt, das hat es bei uns nur am Ende des Jahrzehnts gegeben. Die Wende geschah nach 1956, als die Kräfte der Baukunst im Stil des sozialistischen Realismus erschlafften und die junge Generation der Innenarchitekten, ausgehungert nach allem Frischen und Neuen, in der gastro­nomischen Planung freie Hand bekam. Die während des Aufstandes zerschossenen Geschäfte wurden bereits im mo­dernen Stil wieder aufgebaut. Nierentischchen, Mosaikfußbö­den aus kleinen Kacheln, Vorhänge nach Motiven von Paul Klee, trichterförmige Leuchtkörper, mosaikbesetzte Theken. Clnd Kaffeemaschinen in phantastischer Aerodynamik, über­3

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