Gerle János: Die Jahrhundertwerde - Unser Budapest (Budapest, 1993)

uns glücklicherweise auch vom Ende der Epoche einen Kir­chenbau höchsten architektonischen Niveaus in dessen ur­sprünglicher Form ansehen, nämlich die reformierte Kirche (Városligeti fasor 7), von Aladár Árkay entworfen, erbaut zwi­schen 1912 und 1913. Ähnlich wie Lechner hat auch Árkay alles selbst entworfen: die Beleuchtungskörper, die Bänke, die Wandbezugsmuster, die farbigen Glasfenster. Eine strenge Stilanalyse würde auch in diesem Fall ergeben, daß auf das ganze Bauwerk zahlreiche Stilrichtungen eingewirkt haben mußten, der souveräne Meister aber verstand es, das Mannig­fache zu einer bewundernswerten Einheit und Einmaligkeit zusammenzukneten. Die Grundform der Kirche entspricht denjenigen liturgischen Neuerungen, die Lage, Einrichtung und Form der amerikanischen Predigerkirchen zum Kanon erhoben. Die Vorbilder stammen selbstredend aus solchen Ländern, wo der Protestantismus vorherrscht, allen voran aus Deutschland und Finnland. Die Zentralposition der Kanzel wird durch die Gesamtgestaltung des Raums und seiner Ver­zierungen betont. Die deutschen und finnischen Beispiele vermitteln eine kaum greifbare Atmosphäre des amerikani­schen „romanesque“ Stils. Die stark stilisierten, in geometri­sche Elemente geteilten Muster bezeugen - vielleicht weil sie kraftvoll und zeichenartig sind - ihre folkloristische Herkunft. Gleiches gilt für die holzgeschnitzten Möbel. Ihre kraftvolle Masse erinnert an die Welt der gezimmerten, folkloristischen Möbel, die Oberfläche, der sonderbare Pomp schwarzen Gol­des tragen die Spuren des Wiener Jugendstils. (Findet gerade kein Gottesdienst statt, so ist die Kirche immer zu, ihren Schlüssel kann man jedoch im Pfarramt abholen.) Die vollständige Restauration hat die Villa Egger (Városligeti fasor 24) zwar in ihrem Ganzen gerettet, aber gleichzeitig auch um manches ihrer bröchelnden Schmuckstücke gebracht. Erbaut im Jahre 1901 ist sie Vertreterin der Pariser Art Nou­veau in Budapest. Entworfen wurde sie von Emil Vidor, die­sem lauter Meisterwerke schaffenden Architekten größter Stil­sicherheit, der sich in allen Stilrichtungen zu Hause fühlte. An der anderen Straßenseite, unter der Nummer 33, befindet sich die für seinen Vater entworfene Mietsvilla (1904-1905), sie ist voll von phantastischen Details. Ihr asymmetrisches Eingangstor, die geschnitzten Tiergestalten des hölzernen Vordaches und hauptsächlich die aus Holz gemachten, lau­nenhaften Terrassenbauten der Hoffassade holen fast alle Zentren der europäischen Jahrhundertwende in greifbare Nähe. Von Vidors selbsterdachten Möbeln und Interieurs ist ein Rest im Ergeschoß erhalten geblieben (um Einlaß bitten soll man an der Pforte des Studentenwohnheims). Es ist sicher keine Übertreibung, Vidor in Kenntnis seines Schaffens als den ungarischen Van de Velde zu charakterisieren. 38

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