N. Kósa Judit - Szablyár Péter: Das unterirdische Pest - Unser Budapest (Budapest, 2002)

Kein Wunder, daß man auch heute noch das Belüftungssystem bestaunt. Die Gravitation ist zu wahren Wundern fähig: die Luft, welche aus den Brunnen durch das System der herrlichen, bogenförmig gemauerten Gänge in die Misch­räume gelangt, strömt unterirdisch mit solch einer Kraft, daß die Haare des Be­suchers flattern. Manchmal spielt es den im Gebäude Arbeitenden auch einen Streich. Z. B. passierte es einmal, daß die an der Haltestelle Jászai Mari tér war­tende 2er Straßenbahn sich mit stinkigem Dampf aus dem Hauptsammelkanal füllte, bis zur Haltestelle Kossuth tér weiterfuhr und dann die Türen öffnete. Die nicht zu angenehm riechende Luft machte sich ihren Weg nun von hier durch die Brunnen ins Belüftungssystem und gelangte binnen Sekunden in den Sitzungs­saal des Abgeordnetenhauses. (Eine angenehmere Variante bildet wohl der Duft des frisch gemähten Rasens am Kossuth tér, der manchmal die Parlamentssit­zungen durchströmt.) Das Raumsystem unter dem Parlamentsgebäude ist eigentlich zweigeschossig. Schon die Innenhöfe liegen tiefer als der Kossuth tér, die Fenster des Souter­rains sehen mancherorts direkt auf die Erdoberfläche. Hier befinden sich Lager­räume und Werkstätten, lange Zeit befand sich hier jedoch auch der Speiseraum der Angestellten und Abgeordneten. Die Keller unter dem Erdgeschoß nehmen nicht mehr den ganzen Grundriß des Gebäudes ein: zwischen den Heizkammern erhielt z. B. das Lager der Tischlerwerkstatt seine Räume. Wenn man unter dem Parlamentsgebäude spaziert, so erblickt man vor allem die Gänge und Kammern des Belüftungssystems. Die gemauerten Tunnel win­den sich geheimnisvoll unter der Erde, manchmal sieht man Ventilatoren, ein anderes Mal die Türen der Heizkammern. Die Aufschriften informieren über das Fassungsvermögen einstiger Luftschutzkeller, die Orte der Rettungsstationen, Waschräume und Toiletten, außerdem auch darüber, wo man gasverseuchte Kleidung eingesammelt hätte. Von allem sind heute nur noch die Aufschriften übrig, an den originalen Türen ist jedoch auch heute noch gut lesbar: „Bei Alarm geschlossen halten!" Im Souterrain des Parlaments befand sich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs ein Krankenhaus. Die unterirdischen Gänge wurden jedoch in den fünfziger Jahren in Luftschutzkeller umgebaut, damals vermauerte man auch die Gänge. Die Ver­stärkung der Decken sowie die Aufteilung der Tunnels beeinflußten die Effek­tivität des Belüftungssystem negativ. Erst seit einigen Jahren konnte die Bauab­teilung des Parlaments die ursprünglichen unterirdischen Gänge wieder in Ordnung bringen - so funktioniert heute die Belüftung des Haupttreppenhauses z. B. wieder wie einst. \2

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