Szegő Dóra - Szegő György: Synagogen - Unser Budapest (Budapest, 2004)

Durch die „Bewahrung der Verstorbenen", das Sagen des Totengebetes wurde dieses Bethaus eine stadtbekannte Synagoge. Es diente also nicht nur den Juden seiner engeren Umgebung, sondern der ganzen Stadt. Auf dem Giebel des Hauses kann auch heute noch die Inschrift gelesen werden, welche die einstige Funktion verkündet. Der enge Zusammenhalt von Synagoge und Wohnhaus war in der Gemeinde des Talmud Vereins besonders begründet: das Stu­dium des Talmuds nahm den Großteil der Zeit der Männer in Anspruch. Den Erinnerun­gen zufolge klopfte der Synagogendieiner bei Morgengrauen an die Türen und weckte die Gläubigen mit dem Ausruf: „Kommt lernen!" Im benachbarten Gebäude (Vasvá­ri Pál utca Nr. 7) wohnten ebenfalls gläubige Juden - Gewerbetreibende und Händ­ler. Daran erinnert das kunstvolle Eisengeländer mit Davidsternen im Stiegenhaus. Die Synagoge wurde 1887 nach Plänen des wenig bekannten Sándor Fellner gebaut. Die Ordnung ist symmetrisch, insoweit das der rechtsseitig sich umkehren­de Gebäudeflügel erlaubt. Der historisierende Giebel über dem Haupteingang wird von einem Bogenfenster beherrscht, dessen Steinumrahmung mit dem Türrahmen zusammengebaut ist. Die Details des Giebels, über welchem zwei Gesetzestafeln stehen, haben einen neogotischen und frühen Sezessions-Charakter. Die Gotik wird vom Gesims, die Sezession von der Bogenform verkörpert. Im Inneren keilt sich die Holzempore mit neogotischer Brüstung und einer Fenster­reihe mit spätromanisch-neorenaissance Umrahmung zwischen den Synagogen­raum und das Stiegenhaus. Die Decke des Hallenraums wird durch in Pedentife übergehende Zwillingshalbsäulen gestützt. Im Obergeschoß wechseln romanisie- rende Zwillingsfenster und Blindarkaden einander ab. Die Formen des Synagogen­inneren widerspiegeln die Neovariante des Übergangs zwischen mittelalterlicher Architektur und Renaissance - ein auch für das ungarische Parlamentsgebäude charakteristischer Stil. Der Thoraschrein ist eher gotisierend, er beherrscht die Mittelachse sozusagen als freistehende Plastik. Seine Verzierung ist viel feiner als die Architektur an sich. Auf dem Feld seines Tympanons befindet sich ein orientalisch ge­malter Davidstern. Das Bimah ist sozusagen das in den Raum gestellte kleinere Paar dazu, an den Sockeln seiner Säulen zwei Kandelaber. Der erhöhte Raum wird durch das schmiedeeiserne Geländer von den Holzbänken abgeschlossen, ln der Mitte des Raumes hängt ein riesiger Bronzeleuchter, der mit der gesamten Archi­tektur im Einklang steht. Das anspruchsvolle Gebäudeinnere übertrifft die vom Grundstück vorgeschriebenen bescheideneren Rahmen der Bauvorschriften. Aus dieser Spannung heraus ergibt sich die imposante Raumwirkung, welche den Eintretenden empfängt. 1993 wurde die Synagoge renoviert. Heute ist sie das Bet- und Studien-Haus der Lubawitscher hassidischen Gemeinde. 46

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