Ferkai András: Wohnsiedlungen - Unser Budapest (Budapest, 2005)

wenn ein Großteil von ihnen auch Arbeiter, Hilfsarbeiter, Tagelöhner, teilweise auch Kleingewerbetreibende oder Angestellte waren - näher zur Mittelklasse standen als zum Proletariat. Die Zusammengehörigkeit, das Gefühl des aufeinan­der Angewiesenseins nahmen in der Siedlung einen bestimmten bürgerlichen Cha­rakter an, obwohl die Bewohner bloß Mieter und nicht Besitzer waren. Iván Bol­dizsár, der im Namen der katholischen Sozialpolitik schrieb, meinte, daß die Stadt­rand-Siedlung „ein Mittet zur Abschabung dei Proletariatei iei, weil iie die Arbeiter am der großstädtischen Wurzellosigkeit herauireißt und ihnen zu wertgebendem Besitz verhütt, welcher mit seinem Ertrag ihren Arbeitslohn ergänzt und ihnen über die Heimsuchungen der vorübergehenden Arbeitslo­sigkeit hinweghilht". Scheint uns dieser Gedanke heute auch etwas naiv, so bie­tet die Stadtrand-Siedlung zweifelsohne ihren Bewohnern viel bessere Umstän­de, als jede andere Variante der Notwohnung. Schade, daß von dieser Art der Siedlung nicht mehr verwirklicht wurde. „Dzsumbuj" Wir könnten wohl kaum ein extremeres Beispiel der Lösung der Notstands- Wohnungsfrage geben, welches in so krassem Gegensatz zur Stadtrand-Siedlung steht, wie die „Dzsumbuj" genannte Siedlung im bedrückendsten Industriegebiet der Äußeren Franzstadt. Das Wort an sich heißt im Alltagsjargon ebenfalls eine Stadtrand-Siedlung, jedoch mit einer heruntergekommenen, fraglichen Färbung. Früher nannte man sie auch Daränyi-Häuser, nach Kálmán Darányi, dem Ober­haupt der Regierung, zu deren Zeit die Häuser gebaut wurden (1936-37). Die drei Häuser Ecke Illatos út und Gubacsi út waren ein Teil des schleppenden Bau­programms von Notstandswohnungen, in dessen Rahmen die Hauptstadt durch Bau von Barackengebäuden (X. Bihari und Ceglédi út), Barackensiedlungen (X. Aszódi- Füleki út, Sibrik Miklós út) und stockhohen Häusergruppen (XIII. Szilas—Forgács utca, X. Megyeri út, XIV. Hős und Zách utca) den Obdachlosen helfen, bzw. die Überfülltheit der früheren Baracken- und Notsiedlungen lindern wollte. Die drei Gebäude stehen in militärischer Ordnung nebeneinander. Ihr Aufbau ist identisch: zwei lange Flügel mit Außengang umgeben den schmalen Hof; sie werden von quer verlaufenden Treppenhäusern verbunden, zwei beim mittleren Gebäude und je eins bei den seitlichen. In den drei-, bzw. vierstöckigen Häusern gibt es insgesamt 376 Einzimmerwohnungen mit Küche. Bei je zwei Wohnungen öffnet sich aus dem gemeinsamen Vorraum das WC. Die einfachen Häuser mit Hochdach möchten nicht mehr scheinen, als sie sind: auf die minimalsten mensch­lichen Bedürfnisse zugeschnittene Massenwohnungen. Zur Straße und zum Hof hin blicken widerstandsfähige Rohziegelmauern mit Reihen von rhythmisch verlau­fenden Öffnungen. Der Hof erinnert mit seinen Stabgeländer-Gängen an die 35

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