Radek Tünde - Szilágyi-Kósa Anikó (szerk.): Wandel durch Migration - A Veszprém Megyei Levéltár kiadványai 39. (Veszprém, 2016)

4. Folgen von Migrationsprozessen auf die Literatur - Hammer Erika: Ein Entwurf von der Welt. Bewegung als Ver-Wandlung der Welt in der Poetik von Herta Müller

Hammer, Erika: Ein Entwurf von der Welt 253 Unterminierung naiver Identitätsauffassungen auf dem Terrain der Sprache. Es wird als „rätselhaftes, niemals endendes Geschehen“ beschrieben, diese „ Verschiebungen, die %wischen Sprachen bei ein und derselben Tatsache passieren“ (Müller 2009: 25). Das Rumänische sieht „die Welt so anders an“, heißt es (Müller 2009: 25), von „einer Sprachen %ur anderen passieren Verwandlungen“ (Müller 2009: 25). Die „Sicht der Muttersprache“ (Müller 2009: 25) wird mit den anderen Sichten konfrontiert, was eben zu unaufhörli-chen Verwandlungen und Verschiebungen führt wie eine unendliche Semiose. Müller schreibt betont auf Differenz hin, auf die Bewegung des Umkippens zwischen scheinbarer Identität und Andersheit achtend, und stellt dies als emi-nente Beschaffenheit der Sprache aus. Es gibt in den Texten keine dauerhaften Bindungen, weder zwischen Menschen noch zwischen Signifikat und Signifi-kant. Diese Bewegungsfigur bestimmt das ganze CEuvre Müllers von den ersten Texten an, egal ob wir die poetologischen Essays oder die literarischen Texte anvisieren. Das eingangs zitierte Auseinanderhalten von Kopf, Fuß und Mund steht für eine Entortung des Individuums, seiner Bewegungen, Gedanken und Worte. Dieser Aufenthalt an einem Nicht-Ort (vgl. Augé 1991: 92)6 ermöglicht es einen genuin neuen Blick auf die Welt zu werfen. Diskutiert werden soll nun das Tran­sitorische von diesen Nicht-Orten, die durch Deterritorialisierung und Dekon- textualisierung beanspruchen unsere Weltbilder zu demontieren. Bleibende Zuweisungen, Verortungen schaffen eine feste kulturelle Ordnung aber dadurch auch eine Verengung des Bewegungsraumes. Diese Enge bedeutet nicht nur die Enge des Dorfes (vgl. Hammer 2014) als Bewegungsraum und die einengenden Beziehungsgeflechte innerhalb der Familie z.B., sondern das enge Korsett von Narrativen und Weltentwürfen, die bereits durch ihre sprachliche Verfasstheit keine unbeschränkte Bewegungsfreiheit zulassen. Müller hebt in ihrer Paderborner Poetikvorlesung: Der Teufel sitpt im Spiegel. Wie Wahrnehmung sich erfindet hervor, dass man sich einen „wachsamen blick“aneig­nen muss (Müller 1995: 13), um den „willkürlich abgesteckten Weg der Norm“ zu verlassen (Müller 1995: 5). Die neue Wahrnehmung, die hier gefordert und for­ciert wird, wird als eine Grenzüberschreitung verstanden (Müller 1995: 6, 7, 8), die berufen ist, die zur Bewegung nötige Entfesselung auf verschiedenen Ebe­6 Auch im Sinne von Augé „So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt, einen Nicht-Ort“ (Augé 1991: 92). Orte sind demnach benennbar, geographisch markiert, einzigartig und so unverwechselbar, während Nicht-Orte dadurch gekennzeichnet werden, dass sie diese Eigenschaften nicht besitzen, also u.a. nicht benennbar und dazu noch austauschbar sind.

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