Radek Tünde - Szilágyi-Kósa Anikó (szerk.): Wandel durch Migration - A Veszprém Megyei Levéltár kiadványai 39. (Veszprém, 2016)

4. Folgen von Migrationsprozessen auf die Literatur - Hammer Erika: Ein Entwurf von der Welt. Bewegung als Ver-Wandlung der Welt in der Poetik von Herta Müller

254 Hammer, Erika: Ein Entwurf von der Welt nen zu ermöglichen. Diese Grenzüberschreitung wird hier als poetische Praxis Müllers dargelegt, die das Miteinander von Entartung und Neu-Verortung be­schwört, ohne je endgültig einen Ort der Bleibe zu finden. Das Thema der Neu- Verortung wird im Sinne von Verschiebung, Verfremdung verstanden und als poetisches Verfahren bei Müller ausgearbeitet. In Anlehnung an die Theorie von Sklovskij, der in diesem Zusammenhang von Dekontextualisierung (vgl. dazu Zmegac 1994: 454) spricht, lenkt die Studie nun darauf den Fokus, wie die kognitiven Prozesse, die auch in der Theorie der Verfremdung bedacht werden, durch Müllers Literatur angeregt werden. 3 Bewegung als ästhetische Kategorie: Verfremdung Als poetisches Verfahren möchte ich für Müller eine Verfremdungstechnik stark betonen, die sich aus der Reflexion der Sprache und der Wahrnehmung speist Diese Technik ist eine Ver-Rückung der herkömmlichen Wahrnehmung, des wiedererkennenden Sehens und dadurch eine Verschiebung des automatischen Gebrauchs der Sprache. Sie bedeutet, dass alles, was einen sicheren, festen Platz im System unseres Wissens einnimmt, anderswie neu situiert, also deplatziert wird. Die „Taktik“ (Müller 2009: 86), die von Müller dabei verfolgt wird, ist Verkleinern und Vergrößern etc. (ebd.), was mit einem „Schock“ (Müller 2009: 86) gleichgesetzt wird und zum Unerkennbaren führen muss. Dieses Verfahren beschwört den Einbruch des Außer-Ordentlichen, also des Fremden. Erwartun­gen auf einen vertrauten Verlauf werden enttäuscht, um eindeutige, dauerhafte Besitzverhältnisse zu vermeiden. Die Wirklichkeit ist das, „wovon wir ausge­hen“, es ist ein Wirklichkeitsglaube, der mit Vertrautheit und Verlässlichkeit verbunden ist (Waldenfels 1998: 219, herv. im Orig.)7. Die Normalität ist beruhi­gend, sie täuscht vor, im Besitz der Welt und der Dinge zu sein. Der Eindruck, der dadurch erweckt wird, ist das Fleimisch-Sein in der Welt Müller nennt aber die Heimat den „Betrug der Dinge“ (Müller 2001b: 27) und sie kämpft in ihren Texten gegen diesen Betrug und somit gegen das Heimisch-Werden an (vgl. Küla 2007). Der Betrug der Dinge hängt mit einer falschen, erstarrten, unechten Wahrnehmung zusammen. „Damit aus dem Bekannten etwas Erkanntes werden kann, muß es aus seiner Unauffälligkeit herauskommen“ — heißt es in der Theo­7 Waldenfels nennt den Wahrnehmungsglauben Weltglauben (Waldenfels 1998: 220) und weist damit korrespondierend mit Müller darauf hin, dass die eingeschliffene Wahr-nehmung uns eine bereits bekannte Welt vorfuhrt.

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