Radek Tünde - Szilágyi-Kósa Anikó (szerk.): Wandel durch Migration - A Veszprém Megyei Levéltár kiadványai 39. (Veszprém, 2016)

4. Folgen von Migrationsprozessen auf die Literatur - Hammer Erika: Ein Entwurf von der Welt. Bewegung als Ver-Wandlung der Welt in der Poetik von Herta Müller

252 Hammer, Erika: Ein Entwurf von der Welt essentialistisches Denken, das unter Zugehörigkeiten Besitzverhältnisse versteht. Nicht nur in ,^Niederungen“ ist diese Frage aber ein Gegenstand der Reflexion, sondern auch in Müllers poetologischem Essay „lVie kommt man durchs Schlüssel­loch“. Es geht auch hier um einen Kampf gegen eindeutige Zuordnungen, die eine Eingrenzung, ja geradezu Einengung bedeuten und dem Wandel der Identi­tät nicht Rechnung tragen können. Wenn ich als Kind auf der Dorf Straße ging, fragten mich [...] die alten Deute: Wem gehörst du? Und ich antwortete prompt [...] die Namen meiner Eltern. Damit waren die Besitpverhältnisse geklärt, die Fragenden wussten nun, wohin sie mich tun sollten [...]. So deutlich ausgesprochen fing das D ange­boren an. (Müller 2004: 142, hervorgehoben von mir, E.H.) Dieses Dazugehören wird aber gleich mit Stabilität und „Halt“ (2004: 142) aber auch mit „Enge“ (2004: 143) verbunden, was zu der Feststellung führt, dass das „Dazugehören nur als Schleudersitz“ (2004: 143) gedacht werden könne. Dieser konkrete Bezug zur Verbundenheit mit der Familie und sein Konterka-rieren reflektiert auf die durch Müller verkündete notwendige Hinterfragung von eindeutigen, stabilen, immerwährenden Zuordnungen, auf die Dementi der Schematismen unseres Denkens und Handelns. Insistiert wird dabei auf dem Ausreißen aller Elemente aus ihrem erinnerten,4 eingeschliffenen, bekannten Zusammenhang und ihre Neusituierung in einem womöglich fremden, neuen Kontext. Der Aufruhr gegen derartige Besitzverhältnisse schreibt aber nicht allein gegen Identitätsvorstellungen im sozialen Bereich an, sondern dementiert genau-so vehement die Identität innerhalb der Sprache und ihrer Verbindung zur Welt. Solche Konzepte gehen von statischen Identitätsmustem aus, die dynamischen Konzepten diametral gegenüber gestellt sind, und Müller konfrontiert in ihren Texten ständig diese Modelle und spielt sie gegeneinander aus. Ein fruchtbarer Boden dafür ist immer die beschworene Hybridität5 der Sprache, das Zusam-menspiel des Hochdeutschen, des Deutschen der Mundart und des Rumäni-schen als gegenseitige Relativierung und fortdauernde 4 Auf die Rolle der Erinnerung und die Verfremdung des Erinnerten geht die Autorin selber in ihrer Paderbomer Poetikvorlesung ein (vgl. dazu Müller, 1995). 5 Die Begegnung, die gegenseitige Beeinflussung und Infiltration, ja der metamorphoti- sche Übergang aus dem Rumänischen ins Deutsche und umgekehrt ist ein Marken­zeichen des Schaffens von Müller und ein zentraler Aspekt ihrer sprachskeptischen Poetik.

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