Radek Tünde - Szilágyi-Kósa Anikó (szerk.): Wandel durch Migration - A Veszprém Megyei Levéltár kiadványai 39. (Veszprém, 2016)
4. Folgen von Migrationsprozessen auf die Literatur - Hammer Erika: Ein Entwurf von der Welt. Bewegung als Ver-Wandlung der Welt in der Poetik von Herta Müller
Hammer, Erika: Ein Entwurf von der Welt 251 bringen, was in der Forschung auch oft genug geschieht.2 In folgenden Ausführungen geht es nicht um diese Zusammenhänge. Wenn Herta Müller von Hin- terfragung von Ordnungen, konkret von Wahrnehmung spricht, die sich erfindet, ist sie m.E. in der Tradition der Sprach- und Erkenntniskritik zu situieren. Finden und Erfinden werden hier einerseits als Wieder-Finden, auf das Bekannte stoßen und andererseits als Insistieren auf etwas Neuem, auf der Imagination dargestellt. Es soll gezeigt werden, dass Müller versucht, mit der Literatur eine außerordentliche Landkarte zu schaffen, die sich aber nur an wenigen Stellen mit den Karten der Geographen deckt. Es geht hier vielmehr um Karten, die aus Worten gemacht sind, um Raumkonstellationen aus bloßen Worten. Diese Gedanken werden auch von der Autorin unterstrichen, wenn sie in einem poe- tologischen Essay sagt: „Die literarischen Orte sind immer innere Orte, weggehoben von der Geographie. Die Straßen und Zimmer der literarischen Personen sind Sätgp “ (Müller 2004: 147). In diesem Sinne wird hier der Verschiebung gedacht, denn es geht hier vornehmlich um literarische Orte und um eine Neuvermessung der Sprache und ihrer Leistungsmöglichkeiten angesichts der Begegnung mit Konventionen und vermeintlichen Selbstverständlichkeiten. Die transitorischen Orte werden bei Müller zum Mittelpunkt ästhetischer Innovation, denn es werden Verfahren erprobt, die geeignet sind, Automatismen der Selbstverständlichkeit zu dekuvrie- ren. Eine zentrale Rolle spielen in der Literatur grundsätzlich Positionierungen im Raum, geosoziale Identitätsvorstellungen, die generell mit dem Dorf und grundsätzlich mit Statik, Verwurzelung und einer dauerhaften Verbindung mit dem Raum gekoppelt werden, was auch als Bürge für die Identität fungiert. Diesem Konzept der Verbundenheit mit dem Ort werden schon immer Modelle des Nomadischen gegenübergestellt, die, an das Transitorische angeschlossen, zugleich die Entortung des Individuums reflektieren (vgl. dazu Fähnders 2007a).3 Diese Entortung speist sich schon in dem Debütband Müllers aus der Verwurzelung im Dorf als konkretem Raum, ist aber auch ein Verweis auf ein 2 Herta Müller wehrt sich ständig gegen diese Einordnung, nicht zuletzt auch in den Erzählungen des hier untersuchten Bandes, indem sie darauf zu verweisen sucht, dass die Diktatur z.B. nicht allein mit dem Ceausescu-Regime identifiziert werden kann, sondern vielleicht vielmehr als die Diktatur der Norm, der symbolischen Ordnung zu verstehen ist. In diesem Sinne natürlich auch immer als Ordnung der Macht, aber nicht weniger als Ordnung der Sprache und des Diskurses. 3 Bereits die Moderne profilierte sich durch das Flüchtige und demontierte mit diesem Impetus vehement die Figuren des Sesshaften. Seit dem bevölkern nomadische Existenzen die Literatur. Dieses Motiv ist heute im Zuge von Globalisierung und Migration sowohl in der Theoriebildung als auch in Textwelten allgegenwärtiger denn je.