Internationales Kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 2007 in Kőszeg 3. bis 6. Juli 2007 (Szombathely, 2014)
Tibor Hajdu: Alte und neue Eliten in Ungarn in der Zwischenkriegszeit
der Regierungspartei. Die drei 1944 ernannten Regierungschefs, nämlich Sztójay, Lakatos und Szálasi, begannen ihre Laufbahn allesamt als Generalstabsoffiziere. Unter den zahlreichen diskutierten Fragen der Eliteforschung möchte ich nur auf einige verweisen. Eine solche ist die Frage, wann nach dem ursprünglichen Elitewandel 1919/1921 der nächste beginnt: nach dem Sturz von Bethlen (1931), der versucht hatte, eine einheitliche Macht- und Wirtschaftselite zusammenzuschweißen, oder mit der Ausgrenzung der Juden aus der Machtelite (1938/1939), was zeitgleich mit einer Erweiterung der Elite mit gebildeten Elementen (Meritokratie) und mit der Rückgewinnung eines Teils der in Trianon verlorenen Gebiete erfolgte. Nach meinen gegenwärtigen Erkenntnissen neige ich zur Ansicht, daß die dramatische Wende 1938 erfolgte. Die dazu führende rechtsradikale Orientierung hatte aber bereits mit dem Sturz von Bethlen ihren Anfang genommen, und zwar nicht mit Gömbös, sondern schon mit der kurzlebigen Regierung von Gyula Károlyi. Das Grundproblem der Eliten ist es, Bewahrung und Erneuerung im Gleichgewicht zu halten. Inwiefern können wir von einer Ausweitung der Elite sprechen? Hatte diese ausschließlich eine positive Seite? In einem Artikel der Zeitschrift Rubicon ist im Titel von den „oberen 4.000” die Rede.17 Es ist möglich, daß diese Zahl für die Elite des verarmten Trianon-Ungams ein wenig übertrieben ist, auch wenn die Elite seit dem Ende der Dreißiger Jahre einige Elemente in sich aufnahm, die bis dahin zur Mittelklasse gehört hatten. Die in die Elite aufsteigenden jüngeren Beamten, Offiziere und Universitätsabsolventen waren im allgemeinen gebildeter und dachten moderner, sie öffneten sich aber zugleich auch in Richtung der extremen Rechten. Neben der Zurückgebliebenheit, dem Konservatismus und der mangelnden Bildung der alten Aristokratie (diesen nicht zu definierenden Begriff spreche ich nur unter Bedenken aus), des reichen mittleren Adels in den Komita- ten, des Generalstabs und der geistigen Elite blieb eine feste moralische, teils religiöse, teils liberale „herrschaftliche“ Werteordnung bestehen, die nach Trianon einer vielleicht übermäßig „elastischen“ Weltanschauung Platz machte. Die Elite hatte eine eigentümliche, geschlossene politische Grenze. Obwohl gewählte Abgeordnete - insbesondere wenn sie sich in einer existierenden politischen Partei oder in einem Bündnis zusammenfinden - in einer parlamentarischen Demokratie zur Elite zählen würden (und die sozialdemokratische Partei hatte seit 1922 immer Abgeordnete), vernachlässigten die Macht und die Elite diesen Personenkreis im wesentlichen, stellten keine gesellschaftlichen Beziehungen zu ihm her und zogen ihn auch nicht zu vertraulichen Gesprächen hinzu usw. Bei der Kleinlandwirtepartei, die die Wahlen von 1920 im wesentlichen gewann, war die Situation komplizierter. Ihr Führer István Szabó war eine Zeit lang ein wichtiges Mitglied der Regierung. Er wurde aber zur Vereinigung mit der Regierungspartei gezwungen, politisch desavouiert und schließlich erzwang man die Übernahme von Führungspositionen in der Kleinlandwirtepartei durch Politiker, deren Persönlich12