Internationales Kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 2007 in Kőszeg 3. bis 6. Juli 2007 (Szombathely, 2014)

Tibor Hajdu: Alte und neue Eliten in Ungarn in der Zwischenkriegszeit

Nach den Revolutionen, in der sogenannten Horthy Ära veränderte sich die Situation und die Zusammensetzung der Elite wesentlich. Die direkte Teilhabe der herrschenden Klassen in Marx‘schem Sinne, also der Großgrundbesitzer und Großkapitalisten, an der Macht nahm wesentlich ab. Dies hatte verschiedene Gründe. Bezüglich des Großkapitals ist eindeutig, daß im explizit antisemitischen Horthy-Regime die jüdischen Kapitalisten, auch wenn sie ihren Einfluß zumindest bis 1939/1940 wahren konnten, sich der direkten Teilnahme an der Politik enthielten. Dies trifft, wenn auch nicht in diesem Maße, auch für die christlichen Kapitalisten zu, deren Vermögen sich zwar vergrößerte, ihre Rolle in der Politik und im öffentlichen Leben aber nicht. Die Erforschung der Elite in Ungarn in der Zwischenkriegszeit und der dies­bezüglichen Wandelungsprozesse führte, auch wenn hierüber bereits interessante Teilstudien entstanden sind,11 noch nicht zu einer Synthese oder zu zusammen­fassenden Monographien. Ein bedeutendes jüngstes Ergebnis ist aber die Publika­tion einer umfangreichen Sondernummer der Budapester historischen Zeitschrift Rubicon mit dem Titel „Eliten in der Horthy-Zeit”. Einige Verfasser dieses Heftes befinden sich unter uns.12 Eine interessante Fallstudie befaßt sich beispielsweise in dieser Ausgabe - ne­ben anderen Themen - mit dem Beziehungssystem von Ferenc Chorin, der eine exzeptionelle Stellung, sozusagen eine Verbindungsposition innerhalb der neuen Elite einnahm.13 Der 1919 zum Christentum übergetretene Chorin war von 1926 bis 1941 der Oberhaupt der Fabrikantenvereinigung GYOSZ, hatte verwandtschaft­liche Beziehungen zu den Familien Weiss, Kornfeld und zu anderen Großkapita­listenfamilien. Ministerpräsident István Bethlen war ein persönlicher guter Freund und Unterstützer von Chorin. Seit Ende der Dreißiger Jahre stand er in Opposition zu den Hitler-freundlichen Regirungen. Er gründete und finanzierte so zusammen mit seinen Verwandten z.B. die bedeutendste antifaschistische Tageszeitung, die Magyar Nemzer (Ungarische Nation). Jüdische Minister oder Staatssekretäre gab es allerdings auch in der Bethlen-Regierung nicht, ganz zu schweigen von den nachfolgenden Regierungen. Eine Ausnahme bildet Frigyes Korányi, ein bereits christlich erzogener Sohn einer berühmten, mit dem Baronentitel geadelten Arztfa­milie. Korányi war zwischen 1919 und 1932 Mitglied mehrerer Regierungen, gehörte allerdings selbst nicht zu den - oben erwähnten - Zirkeln von Großkapitalisten. Es ist hingegen beachtenswert, daß auch Familien, die gemäß der damaligen Terminologie als „arisch“ bezeichnet werden können und nach dem Weltkrieg die Mehrzahl der Großkapitalisten und Industriellen ausmachten, sich kaum direkt an der Politik und am Staatsleben beteiligten, obwohl wir unter ihnen nicht nur eine Person ausmachen können, die über ein originelles Technik- und Organisationstalent verfügte und die z.B. ein überdurchschnittlich kreativer Minister hätte werden können. Eine Ausnahme bildet ein Typus, der aus einer 9

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