Gertrude Enderle-Burcel, Dieter Stiefel, Alice Teichova (Hrsg.): Sonderband 9. „Zarte Bande” – Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder / „Delicate Relationships” – Austria and Europe’s Planned Economies (2006)

Gertrude Enderle-Burcel: Josef Dobretsberger - ein politischer Grenzgänger im Ost-West-Handel

Gertrude Enderle-Burcel ein Rücktritt, der vom akademischen Senat, der sich zum größtem Teil aus fanatischen Nationalsozialisten zusammensetzte, mit größten Vergnügen entgegengenommen wurde.25 Er wurde verhaftet und durch persönliche Beziehungen zu einem Beamten für einige Tage freigelassen, die er benützte, um mit seiner Familie über Jugoslawien in die Schweiz zu flüchten.26 Durch persönliche Beziehungen gelang es ihm auch, ab September 1938 den Lehrstuhl für allgemeine Wirtschaftswissenschaft und Finanztheorie an der Universität Istanbul zu bekommen. Im Herbst 1938 lernte Dobretsberger das Ehepaar Schütte-Lihotzky kennen, das in der KPÖ verankert war. Er begann sich für die Sowjetunion zu interessieren und „seine Kontakte rissen seither nicht mehr ab“. Zu dieser Zeit soll er auch nach Angaben von Grete Schütte- Lihotzky mit dem KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenig korrespondiert haben.27 1941 verließ Dobretsberger die Türkei, die ihm auf Grund des Kriegsverlaufes nicht mehr sicher erschien. Auch vom deutschen Botschafter, Franz von Papen, fühlte er sich bedroht. 1941/42 hielt er sich in Jerusalem auf, wo er engen Kontakt zu Prof. Willy Verkauf-Verlon hatte, der für die kommunistische Partei in Palästina arbeitete. Zu Kriegsbeginn war Dobretsberger in britische Dienste getreten. Von Jerusalem, später von Kairo und London wirkte er an Rundfunksendungen gegen den Nationalsozialismus mit. Nach Angaben von Emst Karl Winter, einem Linkskatholiken im Austrofaschismus, war Dobretsberger noch 1956 Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes.28 Nach Angaben eines ehemaligen KPÖ-Mitgliedes wurde in weiterer Folge auch eine Finanzierung durch den KGB für möglich gehalten. 1942 bis 1946 lehrte er an der Giza-Universität in Kairo Theorie und Politik der Volkswirtschaft, wo er auch noch 1965, 1966 und 1967 Gastvorlesungen hielt.29 Im August 1946 kehrte er nach eigenen Angaben als Kosmopolit nach Österreich zurück.30 Bemerkenswert ist, dass seine Rückkehr der „Volksstimme“ eine völlig neutrale Notiz wert war.31 Es fehlt etwa jeder polemische Hinweis auf seine austrofaschistische Vergangenheit. Dobretsberger hatte seine Remigration selbst betrieben. Unmittelbar nach seiner Rückkehr erklärte er, dass „er nicht von der 25 Kreissler, Felix: Der Österreicher und seine Nation. Ein Lernprozeß mit Hindernissen. Wien- Köln-Graz 1984, S. 94. 26 Eine anschauliche Schilderung dazu vgl. Wiener Wochenausgabe, 21. Juni 1947, „Prof. Dr. Josef Dobretsberger: Aus dem Gestapo-Gefängnis an die Uni Istanbul“. 27 Autengruber: Kleinparteien, S. 149. 28 Autengruber: Kleinparteien, S. 150. 29 Die Furche, 24. Februar 1968, „Josef Dobretsberger, Heraus aus dem Elfenbeinturm“. 30 Fleck, Christian: Der Fall Brandweiner. Universität im Kalten Krieg. Wien 1987, S. 85. 31 Volksstimme, 23. August 1946, S. 2 „Dr Dobretsberger zurückgekehrt“. 136

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