Gertrude Enderle-Burcel, Dieter Stiefel, Alice Teichova (Hrsg.): Sonderband 9. „Zarte Bande” – Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder / „Delicate Relationships” – Austria and Europe’s Planned Economies (2006)

Gertrude Enderle-Burcel: Josef Dobretsberger - ein politischer Grenzgänger im Ost-West-Handel

österreichischen Regierung zurückberufen worden sei“, sondern seine Wiedereinstellung beantragt hätte.32 1946/47 wurde er wieder Rektor der Universität Graz. Schon vor seiner Rückkehr gab es bereits im Mai 1945 Gerüchte, dass Dobretsberger neben Georg Frankenstein, Guido Zematto und Kurt Schuschnigg Mitglied in einer in Salzburg gebildeten Gegenregierung sein soll.33 Im Oktober 1946 hatte es Gerüchte um eine Parteigründung gegeben. Dobretsberger dementierte „mit Entschiedenheit die Gerüchte, wonach er sich mit bestimmten politischen Plänen, vor allem mit der Absicht einer Parteigründung trage“.34 Die ÖVP scheint zeitweilig durchaus mit der Idee gespielt zu haben, dass Dobretsberger eine neue Partei gründen sollte, „die zum Sammelbecken von Intellektuellen, Großdeutschen und Juden werden sollte“.35 Mit seiner Offenheit für die KPÖ fiel er aber als Gründer einer koalitionsfahigen ÖVP-Abspaltung aus.36 Die differenzierte Haltung zu sozialistischen Ideen stammte aus seiner Zeit in der Emigration.37 Der primitive Antikommunismus der 50er Jahre war ihm fremd.38 Dazu kam, dass er sich als einer der wenigen christlichsozialen Politiker vom Austrofaschismus distanziert hatte.39 Zudem war er gegen den nazifreundlichen Kurs von Teilen der ÖVP. U. a. war er auch Obmann und Mitbegründer einer „Österreichischen Gemeinschaft Graz“, einer überparteilichen Plattform zur Abwehr von Neonazismus und Deutschnationalismus. Seine politischen Aktivitäten brachten ihm schließlich den Ausschluss aus dem katholischen Cartellverband „Norica“.40 Als Begründung hieß es: Der Philister-Ausschuss hat daher geschäftsordnungsgemäß die Angelegenheit dem Verbindungsgerichte überwiesen, das in der Sitzung vom 28. September 1949 über Prof. Dr. Josef Dobretsberger wegen Verletzung der Interessen der Kirche und des CV den Ausschluss (Dim.i.p.) verhängt, der allerdings verbandsintem nicht unwidersprochen blieb.41 Für Dobretsberger, der „tief im österreichischen Katholizismus“ verwurzelt war42 und den „Die Presse“ Josef Dobretsberger - ein politischer Grenzgänger im Ost-West-Handel 32 Fleck: Der Fall Brandweiner, S. 84. 33 Brusatti, Alois (Herausgeber): Zeuge der Stunde Null, Das Tagebuch Eugen Margarethas 1945-1947, bearbeitet von Hildegard Hemetsberger-Koller. Linz 1990, S. 77. 34 Neues Österreich, 17 Oktober 1946, S. 2 „Professor Dobretsberger in Wien“. 35 Ra uc h en s t ei n er, Manfried: Die Zwei. Die große Koalition in Österreich 1945-1966. Wien 1987, S. 132. 6 Ra uc h en s t e i n er : Die Zwei, S. 135. 37 Fleck : Der Fall Brandweiner, S. 85. 38 A Uten grub er : Kleinparteien, S. 144. 39 Union, 5. Oktober 1950, S. 3. 4,1 Autengruber: Kleinparteien, S. 152. 41 Archiv der K.A.V Norica, Ordner Philister 1945-1949, Brief vom 28. September 1949 und Protokoll über die Philisterausschussitzung am 27.X. 1949. Den Hinweis sowie Kopien der Schriftstücke verdanke ich Univ.-Prof. Dr. Georg Schmitz. 137

Next

/
Thumbnails
Contents