Gertrude Enderle-Burcel, Dieter Stiefel, Alice Teichova (Hrsg.): Sonderband 9. „Zarte Bande” – Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder / „Delicate Relationships” – Austria and Europe’s Planned Economies (2006)

Andrea Komlosy: Österreichs Brückenfunktion und die Durchlässigkeit des „Eisernen Vorhangs“

1965 entfielen auf den Osthandel 15,3 Prozent des österreichischen Außenhandels (Osteuropa 11,7 Prozent, UdSSR 3,6 Prozent).67 Dies entsprach einem Anteil von 8,8 Prozent (Osteuropa) bzw. 4,3 Prozent (UdSSR) am gesamten Osthandel der OECD. In den Jahren 1965 bis 1970 waren die Handelsbilanzen mit den einzelnen Partnern ziemlich ausgeglichen; Überschüsse und Defizite bewegten sich in allen Fällen unter einer Größenordnung von einer Milliarde Schilling.68 Seinen Höhepunkt erlebte der österreichische Osthandel in der ersten Hälfte der 1970er Jahre. Die jährlichen Wachstumsraten des Ostexports lagen in den Jahren 1970— 1975 bei jährlich 20 Prozent (Osteuropa) bzw. 11,3 Prozent (UdSSR). Überdurchschnittliche Zunahmen verzeichneten die DDR (+24,3 Prozent) und Polen (+37,9 Prozent).69 Zwischen 1970 und 1975 stieg nicht nur das österreichische Handelsvolumen mit den osteuropäischen RGW-Staaten (inkl. Sowjetunion). Die österreichischen Ostexporte wuchsen in dieser Phase etwa doppelt so stark wie die Gesamtexporte; ihr Anteil am österreichischen Gesamtexport stieg von 12,9 Prozent im Jahr 1970 auf 17 Prozent im Jahr 1975; der Anteil an den Importen aus den Oststaaten erhöhte sich im selben Zeitraum von 9,4 auf 10,2 Prozent.70 Dieses Wachstum spiegelt auch die Zunahme der Untemehmenskooperationen und der Verlagerung von Fertigungen an verlängerte Werkbänke osteuropäischer Unternehmen wider. Da das Wachstum des österreichischen Osthandels auf der Exportseite höher ausfiel als auf der Importseite, entstand zwischen 1970 und 1975 ein deutlicher Überschuss in der Osthandelsbilanz: dieser stieg von 0,9 Mrd. (1970) auf 7,4 Mrd. Schilling (1975). Ausnahmen bildeten die Tschechoslowakei mit der - bis 1978 - weiterhin ausge­glichen bilanziert wurde, und die Sowjetunion, gegenüber der Österreich seit Mitte der 1970er Jahre ins Minus geriet.71 Gegenüber den anderen westlichen Industrie­ländern kam dem Osthandel in Österreich eine vergleichsweise hohe Bedeutung zu. Jan Stankovsky maß den Ostexporten insbesondere während der Rezession in den Jahren 1974/75 eine wichtige konjunkturstabilisierende Wirkung bei.72 Eine Änderung trat Mitte der 1970er Jahre ein, als der Osthandel und die industriellen Kooperationen zwischen Unternehmen zwar volumenmäßig weiter anstiegen, ihr Anteil am österreichischen Gesamtexport gegenüber der Periode vor 1975 jedoch deutlich abfiel. 1979 machten die Exporte nur mehr 12,5 Prozent des Osthandels (9,7 Prozent Osteuropa, 2,8 Prozent UdSSR) aus. Die Zuwachsraten der Österreichs Brückenfunktion und die Durchlässigkeit des „Eisernen Vorhangs“ 67 Stankovsky, Jan: Österreichischer Osthandel: Bestandsaufnahme und Aussichten. In: Monatsberichte des Instituts für Wirtschaftsforschung 2 (1980), S. 70, Übersicht 3 (Werte nicht preisbereinigt). 68 Ebenda, S. 70, Übersicht 4. 69 Ebenda, S. 70, Übersicht 2. Grossendorfer: Österreichs Außenhandel, S. 648: Stankovsky: Österreichischer Ost­handel, S. 70. 71 Stankovsky: Österreichischer Osthandel, S. 70, Übersicht 4. 72 Stankovksy: Österreichischer Osthandel, S. 69. 91

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