Gertrude Enderle-Burcel, Dieter Stiefel, Alice Teichova (Hrsg.): Sonderband 9. „Zarte Bande” – Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder / „Delicate Relationships” – Austria and Europe’s Planned Economies (2006)
Andreas Resch: Die Außenhandelsbeziehungen zwischen dem RGW-Raum und Österreich in der Nachkriegszeit - dargestellt im Spiegel der österreichischen Außenhandelsstatistik
schaft versus Planwirtschaft sowjetischen Typs) wurde der Ost-Westhandel zu einem Handel „mit besonderem Charakter“.8 Unter den gegebenen Rahmenbedingungen erreichte der Außenhandel Österreichs mit den RGW-Staaten im Jahr 1954 seinen relativen Tiefpunkt. Der Anteil der Ostexporte fiel auf 9,4 Prozent aller österreichischen Exporte, jener der Importe aus dem RGW-Raum auf 9,1 Prozent.9 Zu dieser Zeit bahnte sich allerdings bereits eine erneute Trendwende an, die schließlich dazu fuhren sollte, dass Österreich unter den westlichen Ökonomien eine Sonderstellung im Hinblick auf den Osthandel zu behaupten vermochte. Der Tod von Jossif W. Stalin im Jahr 1953 bedeutete eine tief greifende Zäsur. Die stalinistische Industrialisierungs- und Autarkiepolitik hatte zu einer dramatischen Verschlechterung der Versorgungslage in den sozialistischen Ländern geführt. Politische Unruhen in Ungarn, der DDR und Polen in den Jahren nach dem Tod Stalins waren die Folge und in den Staaten des RGW wurden länderspezifische Reformmaßnahmen angedacht. Unter Nikita S. Chruschtschow setzte die „Entstalinisierung“ ein und ab 1954 erfolgten gewisse Ansätze zu einer verstärkten, arbeitsteiligen Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten im Rahmen des RGW. Bis zu einem gewissen Grad sollten den einzelnen RGW-Staaten „mehrere Wege zum Sozialismus“ ermöglicht werden. Damit erlangte auch der Außenhandel mit dem Westen wieder größere Bedeutung. Er sollte dem Erwerb von Technologie dienen und auch die Versorgungslage verbessern.10 11 Zugleich verloren ab der Mitte der 1950er Jahre die Boykottmaßnahmen von Seiten der USA an Schärfe. Der Marshallplan, der auch Österreich in die Embargopolitik einband, lief 1952 aus. Die vertraglichen Grundlagen für die Handelsbeziehungen Österreichs mit den RGW-Staaten im Allgemeinen und der Sowjetunion im Besonderen konnten im Gefolge des Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 weiterentwickelt werden. Die Alpenrepublik wurde zu einem souveränen, neutralen Staat und die bis dahin unter sowjetischer Verwaltung stehenden Unternehmen wurden gegen Ablöseleistungen an Österreich übertragen." Der Handels- und Schifffahrtsvertrag mit der Sowjetunion vom 17. Oktober 1955 sah die Meistbegünstigung sowie kontingentierte Warenlisten zuerst für ein Jahr, Die Außenhandelsbeziehungen zwischen dem RGW-Raum und Österreich 8 Breuss, Fritz: Österreichs Außenwirtschaft 1945-1982. Wien 1983, S. 125. Siehe Tabelle 1 im Anhang. 10 V i d i tz, Marianne: Die Handelsbeziehungen Österreichs zu den Mitgliedsländern des RGW unter Einbeziehung des Transithandels. Dissertation. Wien 2001, S. 57; Stankovsky, Jan: Folgewirkungen der KSZE für den Ost-West-Handel und die industriellen Kooperationen, ln: Wiener Institut für Wirtschaftsvergleiche, 29, 1977, S. 304. 11 Die damit verbundenen Warenlieferungen zwischen 1955 und 1961 machten 3,9 Mrd. Schilling aus, die Gesamtkosten der Erdöllieferungen von 1955 bis 1963 beliefen sich auf 2,67 Mrd. Schilling. 43