Gertrude Enderle-Burcel, Dieter Stiefel, Alice Teichova (Hrsg.): Sonderband 9. „Zarte Bande” – Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder / „Delicate Relationships” – Austria and Europe’s Planned Economies (2006)

Dieter Stiefel: „Zarte Bande“ Österreich und die planwirtschaftlichen Länder

Dieter Stiefel führenden Industriestaaten, zu denen Österreich nicht zu zählen war. Die Wachstumsraten waren dementsprechend geringer. Von 1870 bis zum Ersten Weltkrieg setzt die Industrialisierung auch in Österreich ein, das wachstumsmäßig den Anschluss an die führenden Länder erreichte. Die beiden Weltkriege und die Zwischenkriegszeit stellen den wirklichen Problembereich für Österreich wie für Deutschland dar. Natürlich gab es hier ein Auf und Ab und die Zeit war durch starke Ausschläge in der Wirtschaftsentwicklung gekennzeichnet, aber insgesamt erreichte das BNP in beiden Ländern erst Ende der 1940er Jahre wieder den Stand von 1913. Im Gegensatz dazu wuchs die Wirtschaft der USA in den 1920er Jahren und in den 1940er Jahren kräftig weiter. Ohne die Weltwirtschaftskrise, die in den USA während der gesamten Dreißigerjahre anhielt, wären diese Werte sogar noch bedeutend höher gewesen. Die Zeit des „Wirtschaftswunders“ oder der „Goldenen Zwanzigjahre“ waren für Österreich und Deutschland durch Wachstumsraten gekennzeichnet, die etwa doppelt so hoch sind wie jene der USA. Diese Zeit endet in den 1970er Jahren. Seither sind die Wachstumsraten zurückgegangen und bewegten sich etwa auf dem langfristigen Niveau von zwei Prozent. Diese Tabelle erlaubt noch eine weitere generelle Annahme. In der Wirtschaftsentwicklung wechseln sich Zeiten hohen Wachstums mit solchen von Rückgängen ab, die sich aber bei einer langfristigen Betrachtung ausgleichen. Langfristig dürfte das erzielbare reale Wirtschaftswachstum bei etwas unter zwei Prozent pro Jahr liegen. Das ist jenes Wachstum, das sich durch Innovation und wirtschaftlichen Fortschritt erreichen lässt. Die marktwirtschaftliche Vorgeschichte der planwirtschaftlichen Länder zeigt durchaus Parallelen. Bis zum Ersten Weltkrieg lagen die Wachstumsraten unter jenen der USA, die Entwicklung in Ungarn und der Tschechoslowakei verlief schon auf Grund des gemeinsamen Marktes ähnlich wie in Österreich. Von 1913 bis 1950 hielt sich die tschechoslowakische Wirtschaft besser als jene Deutschlands und Österreichs. Augenfällig sind die Wachstumsraten der UdSSR, die sogar über jene der USA hinausgingen. Der Grund hierfür lag nicht nur am niedrigen Ausgangsniveau 1913 und 1945, sondern muss durchaus auch als ein Erfolg der seit den 1920er Jahren eingefuhrten Planwirtschaft angesehen werden. In den „Silbernen Jahren“ von 1950 bis 1973 erreichten auch die europäischen plan­wirtschaftlichen Länder beachtliche Wachstumsraten, die bei manchen Ländern mit sehr niedriger Ausgangsbasis beinahe „asiatische“ Werte annahmen. In der Regel blieb der „Ostblock“ aber hinter der wirtschaftlichen Dynamik des „Westens“ zurück und kam ab den 1970er Jahren in eine regelrechte Wachstumskrise. Die negativen Werte der letzten Periode sind aber nicht nur auf die zunehmenden Schwierigkeiten der Planwirtschaften bis 1988 zurück zu führen, sondern auch auf die Umstellung zur Marktwirtschaft, welche den „Transformationsländern“ in den ersten Jahren deutliche Wachstumseinbrüche bescherte. 18

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