Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Haltung der Mächte zu den Ereignissen in China im Spiegel der Berichte Österreichisch-Ungarischer Diplomaten

Georg Lehner - Monika Lehner Kurz nach dem Ausbruch der Kämpfe in China verfugte auch die niederländische Regierung die Entsendung eines Schiffes in die chinesischen Gewässer. Ersten Meldungen zufolge sollte die „Holland“ von Niederländisch-Indien mit einem Landungsdetachement nach Norden abgehen.857 Der Marineminister erklärte in der Ersten Kammer, dass die „Holland“ außer der „gewöhnlichen Bemannung“ kein Detachement für eine eventuelle Landeoperation in China eingeschifft habe. Außenminister Loudon bezeichnete die niederländische Politik in China „als eine von den Großmächten ganz verschiedene“; man wolle sich an keiner Aktion „zur Anerkennung oder Erwerbung von Einflußsphären“ beteiligen.858 Der niederländische Marineminister brachte schließlich im Oktober im Parlament einen Antrag zur Bewilligung eines Kredites in der Höhe von 520 000 Gulden zur Deckung der durch „Entsendung dreier holländischer Kriegsschiffe in die chinesischen Gewässer“ entstandenen Kosten ein.859 Erst durch die Bemühungen um die Entsendung einer belgischen Truppenmacht nach China hatten die Meldungen von den Rüstungen der kleineren europäischen Mächte in der (ver)öffentlich(t)en Meinung Interesse gefunden. Die „Neue Freie Presse“ meldete am 27. Juli, dass auch die kleineren europäischen Mächte - die Niederlande, Spanien, Portugal und Belgien - Truppen nach China entsenden wollten.860 Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Einschätzung der internationalen Stellung der Monarchie im Rahmen der internationalen Intervention zur Unterdrückung der Yihetuan-Bewegung verständlicher. Etwa vier Wochen nach dem Bekanntwerden der Gerüchte von den Ambitionen Belgiens in China schrieb Erzherzog Franz Ferdinand am 25. August an Max Vladimir Freiherm von Beck: „Ein Skandal ist es auch, daß wir keine Truppen nach China gesandt haben, wo doch solche Schnackerl-Staaten, wie Belgien und Portugal Truppen dort haben.“861 Die neugewählten Kammern des belgischen Parlaments hatten Anfang Juli 1900 eine kurze Sitzung abgehalten. Wie Khevenhüller berichtete, hatte Außenminister Favereau „in seiner gewohnt lahmen Weise“ eine im Senat eingebrachte Interpellation zu den Vorgängen in China beantwortet: „Neues erfuhren wir dabei nicht.“ Khevenhüller hatte in Erfahrung gebracht, dass die belgische Regierung seit dem 7. Juni ohne direkte Nachrichten von ihrer Gesandtschaft in Beijing geblieben war. Der König der Belgier, Léopold IL, der bedeutende finanzielle Mittel in China 857 HHStA, P.A. XXIX/17, Okolicsänyi an Gotuchowski, Bericht No. 26 B, Haag, 19.6.1900. 858 Ebenda, Okolicsänyi an Gotuchowski, Bericht No. 28, Haag, 7.7.1900. 859 HHStA, P.A. XXIII/28, Forgàch an Gotuchowski, Bericht No. 49 C, Haag, 25.10.1900. 860 Vgl. dazu „Die Ereignisse in China.“ In: NFP, Nr. 12 904 vom 27.7.1900, Abendblatt, S. 1: „Ein neues Moment lenkt die Aufmerksamkeit der Diplomatie auf sich: das Interesse, das sich auch in kleineren Staaten Europas geltend macht, an der Action der civilisirten Welt gegen China theilzunehmen.“ 861 Zitiert nach Johann Christoph Allmayer-Beck, Ministerpräsident Baron Beck. Ein Staatsmann des alten Österreich, Wien 1956, S. 101. 250

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