Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Haltung der Mächte zu den Ereignissen in China im Spiegel der Berichte Österreichisch-Ungarischer Diplomaten

investiert hatte862, arbeitete auch noch angesichts der offen ausgebrochenen Krise an weiteren Projekten in China.863 Am 27. Juli hatte Khevenhüller über die Pläne zur „Bildung einer belgischen Legion“ nach Wien berichtet. Auf Anregung von König Léopold IL, schlugen die Bürgermeister von Brüssel, Gent, Lüttich und Antwerpen in einem Aufruf die Bildung einer „belgischen Legion“ vor.864 Khevenhüller vermutete, dass die Pläne zur Bildung einer solchen durch das bedeutende finanzielle Engagement des Königs begüngstigt worden wären: man hätte erkannt - so Khevenhüller - dass man sich nicht auf wirtschaftlichem Gebiet mit den Großmächten in China messen könnte und dann in politischen Krisenzeiten davon ausgehen könnte, „sich hinter die bequeme Maske der Neutralität zu flüchten“. Khevenhüller wies darauf hin, dass man jedoch nicht verkennen dürfte, welche verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten bei der Bildung eines Freiwilligenkorps zu überwinden wären, da eine solche Legion in China nicht selbständig operieren könne. Sollte das Korps die belgische Fahne führen dürfen, so wäre „die Fiktion der Neutralität umgangen und das Land doch in ein kriegerischen Abentheuer verwickelt.“ Die Kosten der Expedition, die mit Unterstützung der Armee ausgerüstet werden sollte, sollten durch eine öffentliche Subskription aufgebracht werden. Khevenhüller erachtete die Finanzierung als das geringste Problem der ganzen Sache.865 Am 10. August berichtete Khevenhüller, dass die belgische Regierung einer solchen Expedition äußerst wohlwollend gegenüberstehe. Eine offizielle Unterstützung dieser Initiative unterblieb jedoch aus Angst vor innen- und außenpolitischen Komplikationen. Verlässlichen Nachrichten zufolge sollte der König selbst dem Expeditionskorps die Fahne überreichen. Die Abreise war bereits für 15. September angesetzt worden866 als die Ausrüstung des Expeditionskorps Mitte August eingestellt wurde. Offiziell hieß es, dass durch den Entsatz von Beijing die Entsendung eigener Truppen obsolet geworden wäre. Diese Erklärung war jedoch nur vorgeschoben worden, um der begeisterten belgischen Öffentlichkeit den wirklichen Grund - die ablehnende Haltung Deutschlands - vorzuenthalten.867 Wie Thum am 11. August aus Berlin telegraphiert hatte, war man im Auswärtigen Amt über die Pläne des neutralen Belgien „nicht besonders erbaut“ und erwartete sich von belgischen Trappen „keine wesentliche Mithilfe bei militärischen Operationen, sondern eher die Behinderung derselben.“868 Die Haltung der Mächte zu den Ereignissen in China ... Näheres dazu bei Froch is se (1937), S. 361-363 und Kurgan-Van Hentenryk (1972). 863 HHStA, P.A. XXI1/57, Khevenhüller an Gotuchowski, Bericht No. 12 B, Brüssel, 6.7.1900. Vgl. dazu A. Duchesne, Les aspects diplomatiques du projet d’expédition belge en Chine en 1900. In: Revue belge de philologie et d’histoire 32 (1954), S. 77-96. 865 HHStA, P.A. XX1X/18, Khevenhüller an Gotuchowski, Bericht No. 13, Brüssel, 27.7.1900. 866 HHStA, P.A. XXIX/19, Khevenhüller an Gotuchowski, Bericht No. 14, Brüssel, 14.8.1900. 867 Ebenda, Th. Ko iebrodzki an Gotuchowski, Bericht No. 15 B, Brüssel, 27.8.1900. 868 Ebenda, Thum an MdÄ, Telegramm No. 159 (No. 4 198, Chiffre), Berlin, 11.8.1900, Telegramm No. 164 (No. 7 435, Chiffre), Berlin, 13.8.1900. - Bei der Beantwortung einer von den Sozialisten im Senat eingebrachten Interpellation meinte Favereau, dass „die Antwort der deutschen Regierung 251

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