Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Georg Lehner - Monika Lehn er Bank, „und wahrscheinlich auch ein Ordenspriester280, dessen Name mir jedoch unbekannt“ in den belagerten Gesandtschaften befinde. Gottwald berichtete ferner, dass der aus Wien stammende Paul Bauer „seit zwei Jahren“ in Tianjin lebe und dort als Privatsekretär seines Onkels Gustav Detring, eines einflußreichen Beamten der Chinese Imperial Maritime Customs, tätig sei. Gottwald vermutete, dass Bauer angesichts der eskalierenden Lage um Tianjin „in einigen Tagen von dort abreisen“ werden müsse.281 Bis zu der durch den Ausbruch der Unruhen bedingten Einstellung des Betriebes hatte der aus dem steirischen Fürstenfeld stammende Franz Stampfei282 vier Jahre lang bei der Chinese Engineering & Mining Company in den Kohlengruben von Tangshan als Bohrmeister gearbeitet. Schon Anfang Juni waren nach der Ankunft britischer Marinetruppen Vorkehrungen zur Sicherheit des ausländischen Personals getroffen worden. Das chinesische Personal flüchtete in die nördlich von Tangshan gelegenen Berge beziehungsweise nach Tanggu; von der lokalen Bevölkerung flüchteten Frauen und Kinder aus Angst vor den ausländischen Truppen und vor den Anhängern der Yihetuan. Als die Nachricht vom Bombardement der Forts von Dagu noch am 17. Juni in Tangshan bekannt wurde, steigerte sich dort die Aufregung, die durch den überstürzten Aufbruch der aus den südlichen Provinzen Chinas stammenden Arbeiter und durch die Durchfahrt mehrerer vollbeladener chinesischer Militärzüge ausgelöst worden war. Kurz nach zwei Uhr Nachmittag erhielt Stampfei „das dringende Aviso“, so schnell wie möglich „nach dem der Bahnstrecke zunächst gelegenen Orte Ku jeh [Guye] zu kommen, um dort den Zug für Pei tai ho [Beidaihe] zu erreichen“. Nachdem er den Betrieb noch ordnungsgemäß einstellen lassen und aus seiner Wohnung in Linxi noch einige Habseligkeiten holen konnte, erreichte er in letzter Minute den letzten Zug, der die 280 Dieser „Ordenspriester“ war der junge Emst Gärtner, der die Belagerung der Nördlichen Kathedrale überlebte; zu Gärtners Schicksal während und nach der Belagemng vgl. die Bemerkungen im Kapitel „Österreichische Missionare über die Unmhen des Sommers 1900“. 281 HHStA, P.A. XXIX/14, Gottwald an Goluchowski, Taku, 4.7.1900 Zu Detrings familiären Bindungen vgl. Schmidt (1984), S. 7. - Bauer war im Frühjahr 1898 von Hanneken und Detring für die Geschäfte der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft für Industrie und Bergbau engagiert worden. Da diese Tätigkeit vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollte, sollte Bauer offiziell als Privatsekretär Detrings auftreten. Vgl. dazu Falkenberg, Flanneken (1998), S. 12 f. und ebenda Anm. 31. 282 Nach Winterhaider (1902), S. 90 war „Peter Stampfei [...] Angestellter der Kohlenwerke bei Kaiping“. - Am 19.4.1901 beantragte Stampfei bei der k. u. k. Gesandtschaft in Beijing die Verlängerung seines Reisepasses, vgl. dazu HHStA, GA Peking, Kart. 97, F. Stampfl [sic!], F. Stampfei an Czikann, Tientsin, 19.4.1901. - Zu Stampfei vgl. auch die kurze Bemerkung in „An Bord der Zenta“ in: Die Reichswehr, Nr. 2 343 vom 17.8.1900, Morgenblatt, S. 2; Heinrich von B ü 1 o w , Österreich-Ungarns Handels- und Industrie-Politik. Mit besonderer Berücksichtigung auf das in der Monarchie zutage tretende Bestreben nach überseeischer Kulturarbeit, Berlin 1902, S. 135, wo am Ende der Aufzählung der in Shanghai lebenden Österreicher festgestellt wird: „[...] Herr de Mateau [sic!], Zivilingenieur, der für französische Häuser mit bedeutendem Erfolg reist und derzeit mit einem ,Steirer’, Namens Stampfei auf Sumatra weilt, wo beide auf Petroleum bohren.“ 98

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