Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China
Ausländer an die Küste bringen sollte.283 Von Beidaihe wurde Stampfei auf dem britischen Kriegsschiff „Humber“ nach Zhifu gebracht, wo er von S.M.S. „Zenta“ an Bord genommen wurde.284 Stampfei berichtete ausführlich über seine Erlebnisse und über die Kohlengruben von Tangshan285 sowie über die in der Provinz Zhili stationierten chinesischen Streitkräfte.286 Gottwald riet ihm, sich für die Dauer der Unruhen in China nach Europa zu begeben, um nach dem Wiedereintreten normaler Zustände womöglich wieder seinen Posten anzutreten, anstatt in China, wo der Krieg eine Theuerung der Lebensbedürfnisse hervorruft, seine Ersparnisse aufzuzehren.287 Am 5. Juli reiste Stampfei von Dagu nach Japan ab.288 Am 7. Juli verfugte Gottwald über keine weiteren Nachrichten aus Beijing.289 290 Die Nachrichten und Gerüchte über die Lage in der Hauptstadt ließen auch Gottwald das Schlimmste befürchten. Zu den Plänen eines gemeinsamen internationalen Vorgehens bemerkte Gottwald, dass „die Mitsendung eines sprachkundigen Beamten“ auch dann geboten wäre, „wenn sich eine Truppenabtheilung unserer Monarchie daran nicht betheiligen sollte.“ Gottwald, der die Reise nach Beijing vor allem deswegen mitmachen wollte, um bei den Ruinen unseres Gesandtschaftsgebäudes bezw. auch der königl. großbritannischen Gesandtschaft, womöglich mit Hilfe von zu eruirenden ehemaligen chinesischen Bediensteten oder mit den Fremden zugleich eingeschlossen gewesenen Convertiten etc. nach dem Verbleibe des Gesandtschaftsarchives etc. und besonders des Chiffres No. VII unauffällig zu forschen und soweit als thunlich über die vorhergegangenen Ereignisse Daten zu sammeln noch bevor die in diesem Falle wohl unvermeidliche Zerstörung der Residenzstadt durchgeführt wird.2911 Für einen etwaigen Aufenthalt entwickelte er äußerst ehrgeizige Pläne. Von der Überlegung ausgehend, dass Archiv und Chiffre der k. u. k. Gesandtschaft „verbrannt oder vergraben“ worden seien, wollte er „auch Nachgrabungen innerhalb der Gartenmauern des österr.-ung. und eventuell des königl. großbritannischen Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China 283 Nach Winterhaider (1902), S. 90 war Stampfei erst am 18.6. „mit knapper Noth“ geflohen. Guye und Linxi liegen nordnordöstlich von Tangshan. Die in das Kohlenrevier von Kaiping und Tangshan führende Bahnlinie war Ende der achtziger Jahre errichtet worden; 1889 war Tangshan erreicht, 1890 Linxi und Guye. Vgl. dazu W. Trittei, Entwickelung des chinesischen Eisenbahnwesens. In: MSOS I 29 (1926), S. 46 f. sowie Jin, Xu, Zhongguo tielu, 17. - Zu den Auswirkungen der Unruhen auf den Kohlenbergbau in Tangshan im Juni 1900 vgl. Ellsworth C. Carlson, The Kaiping Mines, 1877-1912, Cambridge, Mass., 2. Auf!. 1971, S. 57 f. - Zu einem Bericht von aus Tangshan flüchtenden Ausländem vgl. „Interview with Tongshan Refugees“ in The Boxer Rising: A History of the Boxer Trouble in China. Reprinted from the „Shanghai Mercury“, Shanghai 1900, ND New York 1967, S. 24-26. 284 HHStA, P.A. XXIX/14, Gottwald an Goluchowski, Taku, 4.7.1900. 285 Ebenda, Taku, 5.7.1900: „berichtet über Minen und Erzlager in Nordchina.“ 286 HHStA, P.A. XXIX/18, Gottwald an Goluchowski, Taku, 6.7.1900. - Teilweise veröffentlicht in der WZ, Nr. 194 vom 25.8.1900, S. 6-7. 287 HHStA, P.A. XXIX/14, Gottwald an Goluchowski, Taku, 4.7.1900. 288 Winterhaider (1902), S. 98. 289 HHStA, P.A. XXIX/14, Gottwald an Goluchowski, Taku, 7.7.1900. 290 HHStA, P.A. XXIX/14, Gottwald an Goluchowski, Taku, 13.7.1900. 99