Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Georg Lehner - Monika Lehner Seele der Vertheidigung an der Ostlinie; seiner besonderen Thätigkeit wird die Erhaltung des französischen Gesandtschafts-Palais zugeschrieben [...].222 Unter Winterhaiders Leitung wurden auch alle Versuche der Chinesen, die Gebäude der französischen Gesandtschaft durch Minen zu sprengen, unterbunden. Nachdem Rosthom vom Zongli Yamen eine Note erhalten hatte, wonach die k. u. k. Kriegsmarine Nachrichten über die in Beijing Eingeschlossenen erbeten hätte, verfasste Winterhaider am 5. August eine gedrängte Darstellung des seit Mitte Juni in Beijing Vorgefallenen. Mangels Chiffreschlüssel vereinbarte er mit Rosthom, diese Nachricht „in einem reichlich mit dem Schiffsleben entnommenen Ausdrücken gespickten Croatisch“ zu verfassen, „die nur ein Angehöriger unserer Kriegsmarine verstehen konnte.“ Die Probe aufs Exempel konnte Winterhaider innerhalb der Verteidigungslinien machen: selbst den sprachkundigen Beamten der russischen Gesandtschaft gelang es nur mühsam einige Sätze zu enträthseln, und so durfte man ziemlich sicher sein, dass kein Chinese, selbst ein des Russischen kundiger, das Schriftstück zu deuten im Stande sein dürfte.223 Nach der Auflistung der Gefallenen und Verwundeten des k. u. k. Detachements kam Winterhaider auf die am 5. August vorhandenen Vorräte zu sprechen. Die Österreicher hätten „noch reichlich Munition“, der Proviant reiche bei Abgabe halber Rationen noch für fünf Wochen: Brot, Reis, Pferde- und Eselsfleisch. Die Vorräte an Wein und Branntwein waren bis Anfang August schon fast aufgebraucht. Bis zum 8. August sollte noch die ganze Ration verabreicht werden. Den Eingeschlossenen war bekannt, dass etwa 10 000 Mann seit 31. Juli auf dem Weg nach Beijing waren: Und wann werden sie hier eintreffen - wir hoffen, dass es bald sein wird! Wir wissen nicht, wo sich die Zenta und ihre anderen Detachements befinden. Heute erhalten wir vom Yamen die Nachricht, dass der österreichische Admiral gerne von uns Kunde haben möchte. Dieser Brief wird vom Yamen an den Statthalter von Schantung [Shandong] gesendet werden, welcher denselben dem englischen Consul zur Weiterbeförderung an das Schiff übergeben wird. Wenn auch Unsere sogleich einige Schiffe entsenden würden, was wir hoffen, können selbe noch nicht eingetroffen sein. Der ,Admiral“ muss wohl Linienschiffslieutenant Kottowitz sein. Unser Minister hat gestem ein chiffriertes Telegramm über Berlin gesendet, weil er nur die deutsche Taktik benützen konnte; die Chinesen versprachen die Weitersendung der Depesche. Wir alle grüßen Euch herzlichst, wünschen euch bald zu sehen, was Gott geben möge. Der Brief wurde in der Marinesektion am 9. Oktober 1900 übersetzt.224 Der eigentlich zum Kommandanten des „Zenta“-Detachements bestimmte LSL Josef Kollar zeichnete sich schon vor Beginn der Belagerung aus: Unter anderem tötete er in den Straßenkämpfen vor dem 20. Juni fünf Angreifer. Kollar sicherte auch den Rückzug von der österreichisch-ungarischen in die französische KA, MS/PK 1900-VIII-4/19, Nr. 2 807, Au. Vortrag des Chefs der Marinesektion, Wien, 3.10.1900, Ah. E., Wien, 12.10.1900. Winterhaider (1902), S. 369 f. KA, MS/OK 1900-XI-2/6, Beilage ad Nr. 2 365, Brief Winterhaiders, Peking, 5.8.1900. 86

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