Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

festgesetzten Militär bereits eröffnet, von Osten her [...] war nicht nur [...] Gewehrfeuer, sondern hauptsächlich auch das Hereinwerfen von Bränden zu erwarten. Die Südseite war von chinesischen Häusern umgrenzt, die boxerfreundliche Haltung von deren Einwohnern war bekannt und vom Westen her war man ebenfalls dem Feuer aus dem hochummauerten Complex eines Prinzengrabes ausgesetzt. Bei einem Umfange von zweimal 140 und zweimal 100 Schritt, zusammen 480 Schritt, reichten somit 30 Mann, auch wenn durch die Mitrailleuse verstärkt, nicht aus, um gegebenenfalls einem umfassenden Angriff standzuhalten [...]. Angesichts dieser Voraussetzungen hatte FK Thomann bereits vor Beginn der Belagerung die Evakuierung der Gesandtschaft für den Fall eines militärischen Angriffes beschlossen, da jeder Versuch sie zu halten nur beträchtliche Opfer gekostet hätte und der Rückzug schon nach kurzer Zeit unvermeidlich, dann aber vielleicht gar nicht mehr durchführbar gewesen wäre.2'9 Am Abend des 21. Juni war von französischer Seite die Frage des Oberkommandos über die internationalen Kontingente in Beijing angeregt worden. Wie Winterhaider schreibt, hatten noch in der Nacht alle Kommandanten zugestimmt, dass FK Thomann als ranghöchster Offizier die Leitung der Verteidigung übernehmen sollte. Am 22. Juni sollte diese Übernahme sämtlichen diplomatischen Vertretern notifiziert werden. Unter dem Eindruck heftiger chinesischer Angriffe ordnete Thomann am 22. Juni, 9 Uhr früh, den Rückzug der Verteidiger von der französischen auf die englische Gesandtschaft an. Dort erfuhr Thomann, dass der britische Gesandte Sir Claude Macdonald nach einem angeblich einstimmigen Beschluss der diplomatischen Vertreter die Oberleitung der gesamten Verteidigung übernommen hatte. Nach dem Bericht Winterhaiders wollte Thomann in dieser Situation ,jeden Conflict“ vermeiden, nahm die Entscheidung zur Kenntnis und teilte dem britischen Gesandten lediglich die Ursache des Rückzuges mit. Das österreichisch-ungarische, das italienische und das japanische Detachement wurde umgehend zur Besetzung des Fu entsandt. Währenddessen gaben die Gesandten Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Russlands und der Vereinigten Staaten ihren Detachements Befehl, wieder in ihre Gesandtschaften zurückzukehren - nach Winterhaider stand die italienische Gesandtschaft zu diesem Zeitpunkt bereits in Flammen.220 Trotz dieser konfliktträchtigen Neuregelung des Oberkommandos blieb Thomann „de facto [...] Entscheidender für alle Fragen, welche die gemeinsame Vertheidigung der Linie: deutsche-französische Legation betrafen.“221 Winterhaiders eigene Rolle wurde später im Auszeichnungsantrag folgendermaßen charakterisiert: Ein hervorragender Seeofficier, Soldat und Seemann durch und durch, umsichtig, kaltblütig und tapfer, stets in den vordersten Reihen kämpfend, ward Winterhaider die Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China KA, MS/OK 1900-X-14/5, Nr. 2 803, fol. 395r. Ebenda, fol. 398v-399r. Ebenda, fol. 400. 85

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