Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Georg Lehner - Monika Lehner Während vor allem im Herbst und Winter 1900 Berichte über einen panikartigen Rückzug des k. u. k. Detachements aus der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft von englischer Seite verbreitet wurden'96, sprach Robert Hart, der Inspector General der Chinese Maritime Customs in seinem Bericht über die Belagerung von einem Missverständnis. Unerwarteter Weise sei man in der Seezollbehörde von den Österreichern benachrichtigt worden, dass die k. u. k. Gesandtschaft mit den verfügbaren Mannschaften nicht zu halten sei und um 14 Uhr verlassen werde.196 197 Auch der belgische Gesandte Joostens, der sich wenige Tage zuvor in die k. u. k. Gesandtschaft begeben hatte, suchte nach dem Rückzug der Österreicher in der britischen Vertretung Schutz.198 Thomann gab Befehl, die bei der k. u. k. Gesandtschaft und bei den Gebäuden der Seezollverwaltung errichteten Barrikaden abtragen zu lassen, um so den Angreifern die Möglichkeit einer sicheren Deckung zu nehmen. An der Ecke der französischen Gesandtschaft errichtete das k. u. k. Detachement eine neue Barrikade. Während die Munitionsvorräte, der „eiserne Vorrat“ und die Brotsäcke des k. u. k. Marinedetachements auf dem einzig verfügbaren Karren in die britische Gesandtschaft verbracht wurden, verbrannte Rosthom die Chiffreschlüssel der k. u. k. Gesandtschaft. Gegen 15 Uhr erfuhr Rosthom vom französischen Gesandten, dass das Zongli Yamen nun nicht mehr auf die rasche Abreise der Gesandten dränge, da keine Gefährdung ihrer Sicherheit zu gewärtigen sei. Die Rückkehr des k. u. k. Marinedetachements auf das Gelände der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft war allerdings nur von kurzer Dauer. Als man nämlich mit dem Wiederaufbau einer Barrikade begonnen hatte, wurde von drei Seiten das Feuer eröffnet, wobei ein Matrose verwundet wurde.199 Das Feuer war von regulären Qing-Truppen, „die auf den Dächern und hinter den Mauern von chinesischen Häusern versteckt waren“, eröffnet worden.200 Aus Mangel an geeigneten Transportmitteln und ohne Dienerschaft konnte weder das Inventar 196 Vor allem die negative Schilderung des „Times“-Correspondenten G. E. Morrison über den österreichischen Rückzug beeinflusste zahlreiche Darstellungen: Fleming (1961), S. 114 spricht von offensichtlichen taktischen Defiziten Thomanns, der als „Schaulustiger“ nach Beijing gekommen wäre, in diesem Sinne auch O’Connor (1974), S. 126; Purcell (1963), S. 252 schreibt: „the Austrian legation was unaccountably abandoned by the Austrian commander [...].“ Preston (1999), S. 102: „Von Thomann had been in Peking on a sightseeing trip when the Boxer troubles begun.“ Hoe (2000), S. 158: „Thomann [...] was only a visitor to Peking“. 197 Hart (1900), S. 15. 198 Vgl. dazu HHStA, P.A. XXIX/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 2/11. Serie, Peking, 23.8.1900: „berichtet über Einberufung des k. und k. Marine-Detachements aus der königl. belgischen Gesandtschaft.“- Vgl. Winterhalder (1902), S. 212. 199 HHStA, P.A. XXIX/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 1 (II. Serie), Peking, 20.8.1900. 200 Briefe der Frau von Rosthom. In: Fremden-Blatt, Nr. 296 vom 28.10.1900, Morgenblatt, S. 2. 78

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